Spezialthema | Kooperationen ausbauen – Versorgung zukunftsfest gestalten. Die Zukunftswerkstatt Innovative Versorgung Berlin-Brandenburg 2024
Dass sich unser Gesundheitswesen verändern muss, um die anstehenden Herausforderungen des demografischen Wandels zu bewältigen, ist unstrittig. Angesichts einer immer älter werdenden Bevölkerung wird sich der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen verschärfen, während gleichzeitig der Kostendruck zunimmt. Unter den OECD-Ländern gibt Deutschland nach den USA und der Schweiz pro Kopf der Bevölkerung das meiste Geld für Gesundheitsversorgung aus. Hinsichtlich der Ergebnisse wie z. B. Lebenserwartung und vermeidbarer Sterblichkeit liegen wir hingegen eher im Mittelfeld, was auf deutliche Effizienzpotenziale hinweist. Gesetzesvorhaben wie das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG), das Gesetz zur Notfallreform und das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) sollen zu einer besseren und zukunftsfesteren Versorgung in Deutschland führen. Insbesondere um das KHVVG, mit dem die Krankenhausreform umgesetzt werden soll, wurde hart gerungen und Stand heute wissen wir noch nicht, ob es am 22. November vom Bundesrat in den Vermittlungsausschuss verwiesen wird.
Die Referentinnen und Referenten des Vormittags blickten aus ganz unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema. Die Krankenhausgesellschaften wiesen auf aus ihrer Sicht problematische Aspekte des KHVVG hin. Sie befürchten u. a. eine unzureichende Finanzierung des Strukturwandels und eine Zunahme statt Abnahme von Bürokratie, sehen aber auch die dringende Notwendigkeit einer Reform und des Ausbaus von Kooperationen. Vorgeschlagen wurde z. B. die Stimulierung von Kooperationen im Rahmen der Vergütung. Für das Flächenland Brandenburg ist der Erhalt auch kleinerer Krankenhäuser wichtig, um die ärztliche Versorgung in einigen ländlichen Regionen überhaupt aufrecht zu erhalten. Entsprechend braucht es hier unbedingt die im KHVVG vorgesehene Möglichkeit, ambulante hausärztliche und fachärztliche Versorgung unter bestimmten Bedingungen an Krankenhäusern zu leisten. In Berlin stellt sich die Situation anders dar und aus Sicht der KV Berlin wäre der ambulante Sektor hier durchaus in der Lage ambulantisierbare bisher stationär erbrachte Leistungen zu übernehmen. Dies wurde kontrovers diskutiert, u. a. wiesen Patientenvertreter:innen darauf hin, dass z. B. im Bereich der Rheumatologie sehr schwer Facharzttermine in Berlin erhältlich seien.
Einigkeit bestand darin, dass bereits bestehende Kooperationen zwischen ambulantem und stationärem Sektor – wie die Notfallambulanzen an Krankenhäusern der Notfallversorgung – weiter ausgebaut werden und die Patientensteuerung verbessert werden müssen. Ebenso sahen alle Akteure die Notwendigkeit, sektor- träger- und länderübergreifend zusammenzuarbeiten und dabei Potenziale der Digitalisierung von Telemedizin bis zu Künstlicher Intelligenz zu nutzen. Gute Beispiele gibt es bereits. Vorgestellt wurden z. B. die von Vivantes und der Charité angestoßene plattformbasierte digitale Vernetzung von Krankenhausträgern in Berlin, die auch auf Brandenburg ausgeweitet werden soll und das sektorübergreifende Innovationsfondsprojekt Stay@Home, Treat@home.
Die am Vormittag angesprochenen Themen wurden am Nachmittag in drei Workshops vertieft.
Der Workshop Kooperation und Koordination in der Region widmete sich den Potenzialen des Einsatzes von Telemedizin in der Kooperation zwischen verschiedenen Krankenhaus-Standorten bei der Erbringung von Leistungen. Es wurde aber auch auf Möglichkeiten der Nutzung von Telemedizin im ambulanten Sektor zur Nachsorge bzw. in Kooperation mit der ambulanten Pflege diskutiert. Deutlich wurde, dass Krankenhäuser bereits viele Möglichkeiten nutzen und eine große Offenheit zur Erweiterung von Kooperationen besteht. Dabei wünschen sich die Krankenhäuser klare rechtliche Rahmenbedingungen, die ihnen eine flexible Ausgestaltung entsprechender Kooperationen ermöglicht.
Im Workshop „Diagnostik, Therapie und Prävention mit Hilfe digitaler Tools“ wurden u. a. am Beispiel des EU-Projekts „Timely“ die großen Potenziale des Telemonitorings in der Nachsorge und Prävention von Herzpatienten nach der Reha aufgezeigt. Daran anschließend diskutierten die Teilnehmenden die Möglichkeiten, die sich in Zukunft durch den verstärkten Einsatz von Künstlicher Intelligenz in verschiedenen Bereichen der Medizin und Versorgung ergeben.
Im Workshop ambulant-stationäre Versorgung wurden die Themen „Ambulantisierung“ und „Versorgungsbedarfsanalyse“ näher betrachtet und darauf aufbauend Ideen für ein Zielbild 2035 und notwendige Transformationsschritte gesammelt. Genannt wurde z. B. der Wunsch Versorgung regional mit regionalen Budgets zu planen, Komplexität zu reduzieren und Handlungsspielräume der regionalen Akteure zu erweitern. Weitere Aspekte waren u. a. die Gestaltung einer klugen Patientensteuerung, die Nutzung digitaler Versorgungsangebote – ergänzend zu ambulanter und stationärer Versorgung - oder auch ein stärkerer Fokus auf Prävention. Bestehende Zielkonflikte sollten benannt und realitätsnahe Lösungen – auch unter Einbeziehung der Patienten – erarbeitet werden.
Auch wenn sich das Flächenland Brandenburg und die Metropolregion Berlin in vielem unterscheiden – das Zielbild 2035 sollte für die Gesamtregion Berlin-Brandenburg entwickelt werden. Dabei könnte die gemeinsame Krankenhausplanung zur gemeinsamen Kapazitätsplanung Berlin und Brandenburg erweitert werden, um Kooperationspotenziale gezielt zu nutzen, neue Konzepte zur Vernetzung bestehender Versorgungsangebote zu entwickeln und die Versorgung in der gesamten Region Berlin–Brandenburg dauerhaft gut und zukunftsfest zu gestalten.
Eine ausführliche Dokumentation der Zukunftswerkstatt und ihrer Ergebnisse wird voraussichtlich im Februar 2025 auf unserer Website veröffentlicht. Wir werden darüber informieren. Abonnieren Sie dafür gern unseren Newsletter.
Einige wesentliche Inhalte der Krankenhausreform in Kurzform:
Planung nach 65 Leistungsgruppen, die an übergreifende einheitliche Qualitätskriterien gekoppelt sind. Die Leistungsgruppen werden den Krankenhäusern durch die Länder zugewiesen.
Eine Vorhaltevergütung soll den Fallzahldruck der Krankenhäuser mindern und zur Senkung ökonomischer Zwänge beitragen. Sie ist an die Erfüllung der jeweiligen Mindestvorhaltezahl und der Qualitätskriterien für eine Leistungsgruppe gebunden und soll jeweils 60% der (bisherigen) DRGs betragen.
Die Möglichkeiten der ambulant-stationären Versorgung durch Krankenhäuser werden erweitert, u. a. durch die Möglichkeit der Einrichtung von ambulant-stationären Versorgungseinrichtungen.
Ein Transformationsfonds in Höhe von 50 Mrd. Euro soll von 2026 bis 2035 Gelder für notwendige Strukturreformen bereitstellen und diese fördern.
Die Krankenhausreform wurde am 17.10.2024 vom Bundestag beschlossen und wird am 22.11.2024 im Bundesrat beraten. Sie wird mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Tritt sie planmäßig im Januar 2025 in Kraft, müssten die Länder den Krankenhäusern bis Ende 2026 Leistungsgruppen zuweisen, die Umstellung der Finanzierung würde dann schrittweise in den Jahren 2027 und 2028 erfolgen. Sollte die Krankenhausreform vom Bundesrat in den Vermittlungsausschuss verwiesen werden, muss sie anschließend erneut in den Bundestag. In diesem Fall würde sich die Reform auf unbestimmte Zeit verzögern.
Weiterführende Links:
Informationen des BMG zur beabsichtigten Reform der Notfallversorgung
Informationen des BMG zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KVHHG)
Stellungnahme der Deutschen Krankenhausgesellschaft zum KHVVG
Positionen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zum KHVVG
Stellungnahmen GKV Spitzenverband zum KHVVG