Im Porträt: Gegen den Strom: Die Hippo AI Foundation will den Umgang mit Daten verändern

Algorithmen brauchen Daten – nur so lässt sich Künstliche Intelligenz auf das Erkennen von Krankheiten trainieren, um künftig etwa Brustkrebs früher und besser diagnostizieren zu können. Doch wer darf mit medizinischen Daten arbeiten, wem gehören sie und wie können die gewonnenen Erkenntnisse so vielen Menschen wie möglich helfen? Mit diesen Fragen setzt sich die Hippo AI Foundation in Berlin auseinander und kämpft für Open Source-Alternativen in einem privat-wirtschaftlich dominierten Markt.

     

     

    Der Beginn der „Hippo AI Foundation“ liegt in einer Frage, die sich der aus Belgien stammende IT-Experte Bart de Witte 2018 stellte: „Ich habe meinen Job bei einem Computer-Konzern verlassen, weil ich mich fragte, ob wir in der Gesundheitsversorgung in Bezug auf KI denselben Weg der Privatisierung und Monetarisierung von Daten gehen wollen, wie wir es aus anderen Bereichen kennen“, erzählt de Witte im Rückblick auf die Gründungsphase. Auf Künstlicher Intelligenz (KI) in Form lernender Algorithmen ruhen viele Hoffnungen bezüglich der Weiterentwicklung in der Medizin, besonders für die Früherkennung und Diagnostik. Bart de Witte sieht darin aber auch Risiken. Er befürchtet, dass es dabei zu einer Konsolidierung des Marktes kommen könnte und die führenden Plattformen und Anbieter dann nicht aus Europa stammen. „In den USA zum Beispiel ist das Recht auf Gesundheitsversorgung kein Grundrecht und das Gesundheitssystem ist dem Markt überlassen. Wenn man die heutige Macht von Plattformen in anderen Bereichen sieht, merkt man, dass die Plattformen sich zu Machtplattformen entwickelt haben, die auch über Moral entscheiden. Wenn unsere zukünftigen Gesundheitssysteme abhängig werden von Plattformen, die aus andere Regionen kommen, ist das ein Risiko, mit Konsequenzen für die Grundrechte in Europa“, sagt er.

    Sichtweise auf Daten muss sich ändern
    Zunächst versuchte de Witte deshalb zu verstehen, welche Konsequenzen es hätte, wenn die Entwicklung von KI in der Medizin ähnlich verlaufen würde wie zum Beispiel bei Suchmaschinen. „Dazu habe ich mich über lange Zeit mit unterschiedlichen Menschen aus der Forschung unterhalten – ob aus Medizin, Ökonomie, Stiftungen oder Soziologie“, sagt de Witte. Ziel war es, von Beginn an eine Open Source-Alternative zur rein kapitalgetriebenen Entwicklung zu etablieren.

    „In dieser Zeit habe ich verstanden, dass wir eine neue Sichtweise auf Daten aufbauen müssen und damit auch eine andere Version der Zukunft“, sagt der Gründer. Aus diesem Grund habe er auch nicht gleich damit angefangen, konkrete Projekte umzusetzen. Zuerst formulierte er die Werte, die die Hippo AI vertritt, und definierte deren Ziel. „Dabei ging es vor allem darum, etwas zu kreieren, das in das Wertesystem der Bevölkerung und das einer Ärztin oder eines Arztes passt. Wenn etwas dahingehend eine hohe Kompatibilität hat, findet es meiner Meinung nach auch schneller Verbreitung“, sagt de Witte.

    Diagnose Brustkrebs veränderte die Sicht
    Parallel bekommt Viktoria Prantauer 2019 die Diagnose Brustkrebs. Sie arbeitet damals im Marketing und baut Start-ups auf. „Durch die Diagnose hat sich meine Perspektive geändert. In meinem Beruf ging es darum, immer mehr Daten zu bekommen, um meine Kunden zu verstehen und mehr Produkte zu verkaufen. Ich dachte mir, ob dieser Weg, dass den Menschen Daten extrahiert werden, die sich Unternehmen dann aneignen, um exklusives Wissen und Profit zu generieren, für die Medizin der richtige Weg sein kann. Und folglich: Wie können wir die großartigen vorhandenen Technologien nutzen, damit möglichst alle Menschen Zugang bekommen zu einer medizinischen Versorgung“, erzählt Prantauer. Da Bart de Witte mit seinem Anliegen zu dieser Zeit schon sehr präsent ist, dauert es nicht lange, bis sie auf ihn aufmerksam wird.

    Viktoria 1.0
    Sie nimmt mit ihm Kontakt auf und startet nach ihrer Krebstherapie mit der Stiftung das erste Projekt. Gemeinsam suchen sie nach einer starken Botschaft und finden Viktoria 1.0. Damit Bevölkerung informiert und in die Demokratisierung der Daten involviert wird bauen sie die Website viktoriaonezero.org auf und visualisieren die Daten, in dem sie auf einem Foto von Viktoria den Brustbereich grafisch mit vielen Reihen aus kleinen Buchstaben darstellen, dem sogenannten Ascii Code. „Wir wollten nicht einfach nur eine Open Source-Datenbank für Brustkrebs machen, das hätte die Menschen nicht abgeholt“, sagt de Witte. „Das machen wir um die Botschaft zu vermitteln: Daten sind nicht etwas Abstraktes. Sie kommen von uns Menschen und repräsentieren menschliches Leben“, ergänzt Viktoria Prantauer. Ziel von Viktoria 1.0 ist es, die Diagnose von Viktoria Prantauer mit offener KI zu replizieren. Die Diagnose war eine HER2 Genamplifikation und kann mit Hilfe der Pathologie erkannt werden. Brustkrebs Pathologie Bilder (Bilder von Gewebsproben) sind die Basis für die KI. Mit Viktoria 1.0 bekommen die Daten also ein Gesicht. Daten, die Algorithmen helfen können zu lernen, Brustkrebs unter verschiedenen Voraussetzungen zu identifizieren. Je größer und vielfältiger ein Datensatz ist, desto genauer, zuverlässiger und schneller kann ein Algorithmus einen Tumor erkennen. Darauf bekommen die beiden Gründer Nachrichten von Menschen aus vielen Teilen der Welt, die ihnen ihre Daten für das Gemeinwohl zur Verfügung stellen wollen.
     

    Die beiden setzen ihre Arbeit fort und versuchen, ein globales Netzwerk mit Gleichgesinnten zu knüpfen. Parallel bemühen sie sich, Daten zu gewinnen, indem sie beispielsweise medizinischen Forschungseinrichtungen ihr Open Source-Modell erklären. Die Daten, die Hippo AI sammelt und zur Verfügung stellt, stehen unter einem neuen Lizenzmodell. Es sieht vor, dass alle Ableitungen und Quellcodes der mithilfe der Daten trainierten KI-Modelle veröffentlicht werden. „Alle Entwicklungen rund um diesen Datensatz sollen offen sein und können auch kommerzialisiert werden“, erklärt de Witte.

    Auf der Suche nach industriellen Partnern, die ihre Daten zur Verfügung stellen, konnten de Witte und Prantauer bereits AstraZeneca für eine Kooperation gewinnen. Künftig wollen sie solche Zusammenarbeiten ausbauen und in der Stiftung ein Team etablieren, um an verschiedenen Projekten arbeiten zu können. Dass ihr Anliegen auf Interesse stößt, zeigen die Preise, die die bereits Stiftung gewonnen hat – etwa der Vision.A Award und der KI-Start-up-Preis für Jungunternehmen aus der Hauptstadtregion Berlin/Brandenburg. Der KI-Start-up-Preis wird im Rahmen des Deutschen KI-Preises vergeben, neben dem Start-up-Preis auch noch in den Kategorien Innovations- und Anwenderpreis. Er ist der höchstdotierte seiner Art in Europa. Allein, der von der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Berlin Partner geförderte Start-up-Preis wird mit 10.000 Euro gesponsert.

    Dass die Arbeit von Hippo AI in Berlin weitergeht, steht dabei für die Gründer außer Frage: „Berlin inspiriert. Hier geht es weniger darum, woher du kommst, sondern darum, was du erreichen willst. Dieser Geist und die vielfältigen Möglichkeiten der Stadt sind der perfekte Ausgangspunkt für unsere Arbeit“, sagen sie.

    Weiterführende Links