"Die Lösungen kamen aus der Gesund­heits­wirt­schaft."

Zuerst erschienen auf www.tk.de.
Im Interview: Dr. Kai Uwe Bindseil, Clustermanager Gesundheitswirtschaft Berlin-Brandenburg (HealthCapital), über zehn Jahre BarCamp Health IT, die Gesundheitswirtschaft in der Pandemie und mögliche Aufgaben für den neuen Senat.

 

TK: Herr Dr. Bindseil, das BarCamp Health-IT fand dieses Jahr zum zehnten Mal statt. Wie blicken Sie auf die vergangenen Veranstaltungen zurück und wo sehen Sie das BarCamp in der Zukunft?

Dr. Kai Uwe Bindseil: Die Bedeutung digitaler Lösungen für unsere Gesundheit und das Gesundheitswesen ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Wir stehen trotzdem noch am Anfang. So werden wir auch in den nächsten Jahren kontinuierlich neue Entwicklungen, unkomplizierte Formate und digitale Lösungen bekommen. Unsere Berlin-Brandenburger Mischung aus Wissenschaft, Leistungserbringern, Start-ups, Konzernen und Krankenkassen hat sich dabei aufs Beste bewährt. Es zeigt sich aber auch, dass digitale Lösungen nicht alles sind: Für unser BarCamp etwa ist das physische Format besser als das digitale. Präsenz also auch in den nächsten Jahren!

TK: Das Schwerpunkthema in diesem Jahr war "HealthTech in der Pflege". Welche Impulse erhoffen Sie sich dadurch für die Region?

 

Dr. Bindseil: Die zentrale Bedeutung des Pflegesektors für unsere Gesellschaft ist vielen seit Jahrzehnten bekannt, aber den meisten erst in der Pandemie klar geworden. Damit es in Zukunft nicht zu einer starken Überlastung kommt, werden dringend Konzepte zur Arbeit 4.0 in der Pflege sowie intelligente Pflegetechnologien zur Unterstützung des Alltags der Pflegebedürftigen und besonders auch zur Entlastung der Pflegekräfte benötigt. Ich hoffe, wir können die neuen Ansätze zu humanzentrierten Pflegetechnologien, die wir beim BarCamp gemeinsam diskutiert haben, in die Praxis überführen, damit unsere Vision von der Pflege 4.0 bald Realität wird.

TK: Die Pandemie verlangt den Menschen weiterhin viel ab. Wie ist Ihr Eindruck - wie kommt die Gesundheitswirtschaft durch die Krise?

Dr. Bindseil: Grundsätzlich ist die Gesundheitswirtschaft besser durch die Krise gekommen als andere Branchen wie der Tourismus, das Veranstaltungs- und Gastgewerbe oder der Einzelhandel. Aus der Gesundheitswirtschaft kamen die Lösungen, um die Pandemie in den Griff zu bekommen. Teile der industriellen Gesundheitswirtschaft haben sogar ein starkes Umsatz- und Gewinnwachstum erlebt. Das gilt für Impfstoffe, Diagnostik, persönliche Schutzausrüstung und digitale Gesundheitslösungen. Es muss uns aber klar sein, dass Pflegende, Krankenhäuser, Krankenkassen bis an die Grenzen des Machbaren und darüber hinausgegangen sind. Prävention, Diagnostik und Therapie wichtiger Krankheiten sind zu kurz gekommen. In den nächsten Jahren muss vieles geleistet werden, um die Krise vollumfänglich zu überwinden.

TK: Berlin wählt im September ein neues Abgeordnetenhaus. Was sind aus Ihrer Sicht die dringendsten Aufgaben für den nächsten Senat im Bereich Gesundheitswirtschaft?

Dr. Bindseil: Der aktuelle Berliner Senat hat die Gesundheitswirtschaft unterstützt wie kaum einer zuvor. Das hat unseren Zusammenhalt im Cluster und unsere internationale Sichtbarkeit stark gesteigert. So ist es dann kein Zufall, dass die WHO ihr Zentrum für Pandemic Preparedness in Berlin errichten wird oder dass verschiedene Start-ups zusammen im Sommer 2021 gemeinsam 300 Millionen Euro Risikokapital akquirieren.
Vieles bleibt zu tun: Gute Abstimmung zwischen den Ressorts für Gesundheit, Wissenschaft und Wirtschaft von Anfang an ist unabdingbar. Der Innovationsbedarf insbesondere der Kliniken Charité und Vivantes ist sicher zu stellen. Die Themen digitale Gesundheit, zelluläre Therapien, Pflege 4.0 und Fachkräfte gehören ganz nach oben auf die Agenda, denn wir wollen unsere Position als führender Gesundheitscluster in Europa ausbauen!

TK: Zuletzt noch eine persönliche Frage: Wie hat die Pandemie ihre alltäglichen Gewohnheiten verändert?

Dr. Bindseil: Ich habe in den letzten Jahren viele Gewohnheiten geändert. Das wäre vermutlich auch ohne Pandemie passiert, aber Covid hat sicher manches beschleunigt. Die Bedeutung von Gesundheit und damit einhergehend ein gesünderer Lebenswandel und gute Ernährung sind für mich viel wichtiger geworden. Natürliches ist vieles digitaler geworden – man muss nicht für jedes Gespräch quer durch die Stadt fahren. Gestiegen ist aber auch meine Wertschätzung für gute persönliche Treffen und Gespräche im überschaubaren Kreis. 

Zur Person

Dr. Kai Bindseil ist Prokurist und Abteilungsleiter für Gesundheitswirtschaft/Industrie/Infrastruktur in der Berlin Partner GmbH und seit 2010 Clustermanager Gesundheitswirtschaft Berlin-Brandenburg (HealthCapital). Dr. Bindseil studierte in Göttingen Chemie und promovierte dort 1993. 1994 trat er in die AnalytiCon AG, Berlin, ein und wurde dort 1997 Bereichsleiter Drug Discovery & Development. Im Jahr 2000 gründete er die AnalytiCon Discovery GmbH in Potsdam und wurde Geschäftsführer mit Verantwortung für Marketing, Business- und Drug-Development. Er leitete bis 2013 das Aktionszentrum BioTOP Berlin-Brandenburg.