Interview | Prof. Geraldine Rauch, Präsidentin der TU Berlin
Geraldine Rauch hat nach ihrem Studium der Mathematik an der Universität Bremen von 2009 bis 2016 an der Universität Heidelberg geforscht und gelehrt. 2017 trat sie eine Professur für Medizinische Biometrie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf an, wechselte aber kurze Zeit später an die Charité – Universitätsmedizin Berlin. Dort war sie Direktorin des Instituts für Biometrie und Klinische Epidemiologie sowie Prodekanin für Studium und Lehre mit lebens- und gesundheitswissenschaftlichem Schwerpunkt. Seit dem 1. April 2022 ist sie Präsidentin der TU Berlin. Im November 2022 übernahm sie zudem die Funktion der Sprecherin der Berlin University Alliance. Wir haben mit ihr unter anderem über die Life Sciences an der TU Berlin und über die Berlin University Alliance gesprochen.
Wie gut ist Ihrer Meinung nach die TU Berlin in den Life Sciences positioniert?
Grundsätzlich sehe ich die TU Berlin in den Life Sciences gut aufgestellt. Für mich zählt zu diesem Bereich auch die Biotechnologie, die bei uns am Campus Wedding angesiedelt ist. In der Biotechnologie arbeiten wir eng mit der Medizin zusammen und widmen uns hauptsächlich biomedizinischen Fragestellungen. Beispielsweise haben wir gerade das Richtfest für ein gemeinsames Forschungsgebäude mit der Charité gefeiert. Das Gebäude nennt sich „Der Simulierte Mensch“. Hier werden künftig Forschende der Charité und TU Berlin gemeinsam an künstlichen Organmodellen forschen, um beispielsweise in Zukunft Tierversuche zu vermeiden.
Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft hat jüngst einen „Transferkompass“ veröffentlicht. Darin heißt es, dass die Forschung nur unterproportional von den steigenden Aufwendungen der Unternehmen für Forschung und Entwicklung profitiert. Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern, um mehr Forschung in die Anwendung zu bringen?
Aus meiner Sicht gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie Public Privat Partnership-Modelle gelebt werden können. Da sind beispielsweise Stiftungsprofessuren, die die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft stärken, von denen es an der TU Berlin schon viele gibt. Eine davon ist die Stiftungsprofessur "Analytische Röntgenphysik", die von 13 in- und ausländischen Unternehmen, der TSB und der TU Berlin initiiert wurde. Ein weiterer Weg wäre es, Forschungsgebäude und Forschungsinfrastrukturen öfter gemeinsam mit privaten Partnern zu errichten und zu betreiben. Für Berlin ist dies ein gutes Modell, da die Grundausstattung der Universitäten hier an vielen Stellen besser sein könnte. Gerade in den Ingenieurswissenschaften haben wir oft hohe Anforderungen an die Raumausstattung für Experimente. Diesen Anforderungen gerecht zu werden, ist oft einfacher, wenn man Partner hat, die unterstützen. Bei einer solchen Zusammenarbeit ist dann – vereinfacht gesagt – auch der Weg in die Praxis leichter.
Welche Modelle verfolgt die TU Berlin, um den Transfer von der Wissenschaft in die Wirtschaft voranzutreiben?
Als Technische Universität versuchen wir auf vielen Wegen, den Transfer von der Forschung in die Praxis zu ermöglichen und zu vereinfachen. Unser Centre for Entrepreneurship unterstützt gründungswillige Studierende bei ihren Vorhaben und arbeitet eng mit den Gründungszentren der anderen Universitäten in der Stadt zusammen. Mit diesem Modell sind wir sehr erfolgreich und stellen einen Transfer sicher, bei dem Ideen aus der Forschung unserer Studierenden direkt in die Praxis übergehen. Wir haben aber auch zahlreiche Kooperationen mit der Industrie – beispielsweise in Form der erwähnten Stiftungsprofessuren oder über die Vergabe von gesponserten Stipendien. Transfer beinhaltet aber nicht nur den Übergang von Erkenntnissen aus der Forschung in Wirtschaft und Gesellschaft, sondern auch, dass die Forschenden Anreize aus der Gesellschaft bekommen. Zum Beispiel forschen wir in der Berlin University Alliance an sogenannten „Grand Challenges“, damit sind große Herausforderungen gemeint, die unsere Gesellschaft bewegen. Dabei wenden wir erstmals ein Verfahren an, um gemeinsam mit Akteurinnen und Akteure aus der Zivilgesellschaft das Thema für die nächste Grand Challenges zu bestimmen.
Sie sprachen bereits das Centre for Entrepreneurship als Unterstützung Ausgründungsinteressierte an der TU Berlin an. Wie sieht diese Unterstützung konkret aus?
Am Centre for Entrepreneurship bekommen die potenziellen Gründerinnen und Gründer unterschiedliche Unterstützungsangebote bis hin zur eigentlichen Gründung. Das reicht von konkreten Anleitungen über Kurse, die wichtiges Know-how vermitteln, bis hin zu finanzieller Unterstützung. Das ist ein sehr breites Angebot, das nach unseren Erfahrungen auch sehr gut funktioniert. Parallel ist das Centre selbst eine Einladung an unsere Studierenden, sich mit der Idee der Gründung eines Start-ups auseinanderzusetzen. Deshalb ist das Gründungszentrum zentral am Ernst-Reuter-Platz gelegen, mit schönen Räumen, die ein Shared-Desk-Konzept bieten, das ermöglicht gemeinsam kreativ zu arbeiten und auch mit anderen Gründungswilligen in Kontakt zu kommen.
Wie sind Ihre Erfahrungen mit der Berlin University Alliance?
Die Berlin University Alliance ist für mich grundsätzlich eine großartige Idee, und ich freue mich, seit November 2021 auch Sprecherin des Berliner Exzellenzverbundes zu sein. In einer so großen Stadt wie Berlin, die sehr für Wissenschaft steht, ist es nicht selbstverständlich, dass drei große Universitäten und ein Universitätsklinikum ihre Konkurrenz beilegen und als Verbund agieren. Aus meiner Sicht ist das eine entscheidende Stärkung des Standorts. Denn dieser Verbund zeigt, dass hier die Wissenschaft und die gesellschaftlichen Interessen, zu denen wir forschen und ausbilden, einen höheren Stellenwert haben als das Konkurrenzdenken. Dabei bleibt es wie in allen Verbänden trotzdem eine große Aufgabe, sich gemeinsam zu organisieren und miteinander getroffene Absprachen zu realisieren. Die Alliance ist kurz vor der Corona-Pandemie gestartet. Mittlerweile haben wir viele tolle Menschen aus allen vier Institutionen mit an Bord, die intensiv zusammenarbeiten. Insofern freue ich mich, dass wir jetzt alle Kräfte bündeln, um in der nächsten Förderrunde den Erfolg fortzusetzen.