Vom Gen zum Protein zur Krankheit
Das Risiko für die meisten menschlichen Krankheiten steigt oder sinkt mit natürlichen Veränderungen im Erbgut. Vielfach sind auch die Regionen auf der DNA bekannt, die mit dem Auftreten von Krankheiten assoziiert sind. "Doch wie genau der veränderte Bereich zum Krankheitsrisiko beiträgt, wissen wir in den seltensten Fällen", sagt Professorin Claudia Langenberg, Leiterin der AG Computational Medicine am BIH. "Uns fehlt die Verbindung zwischen Gen und Krankheit. Das sind in aller Regel die Proteine, deren Baupläne die Gene sind. Sie können ihre Aufgabe nur noch schlecht oder gar nicht mehr erfüllen, wenn ihr Bauplan nicht mehr stimmt und damit auch ihre Menge, Form und / oder Zusammensetzung."
Neues Verfahren bestimmt präzise Proteinmengen und DNA-Sequenz...
Um hier Abhilfe zu schaffen, arbeiteten die Berliner Wissenschaftler*innen um Prof. Claudia Langenberg mit Kolleg*innen aus Cambridge, UK, zusammen. So konnten sie etwa 3.000 Proteine mit einem neuartigen Verfahren in 1.180 Blutproben der EPIC-Norfolk Studie bestimmen. Die Studie verfolgt insgesamt 30.000 Proband*innen seit über 25 Jahren und erfasst Informationen zu Ernährung, Lebensstil oder Gesundheit, aber vor allem wurde auch das Genom aller Teilnehmer bestimmt. Das neue Protein-Messverfahren verbindet eine Vielzahl von Antiköpern mit Sequenzierungstechnologien, um so präzise die Mengen von Proteinen im Blut zu bestimmen. Die Wissenschaftler*innen kamen dabei großen Arzneimittelherstellern zuvor, die derzeit an ähnlichen Studien arbeiten, um die Ergebnisse der breiten Öffentlichkeit verfügbar zu machen.
Mine Koprulu, Erstautorin der Studie, Gates-Stipendiatin und Doktorandin an der MRC Epidemiology Unit der Universität Cambridge, erklärt: "Wir verstehen die biologischen Mechanismen von Krankheiten nicht immer sehr gut. Um dieses Problem anzugehen, haben wir in dieser Studie genetische Variationen, Blutproteinspiegel und Krankheitsrisiken systematisch miteinander verknüpft. So konnten wir Proteine, die wahrscheinlich eine Krankheit, z. B. Diabetes, verursachen, von denen unterscheiden, die möglicherweise nur eine Folge von Krankheiten sind. Wir müssen die ursächlichen Proteine identifizieren, da nur Eingriffe in diese Proteine zu sicheren und wirksamen Behandlungen führen werden. Wir sind den Freiwilligen und dem Team von EPIC-Norfolk, die diese Forschung ermöglicht haben, daher sehr dankbar".
...und fördert 500 Verbindungen zwischen Genen, Proteinen und Krankheiten zutage
Insgesamt gelang es den Forscher*innen, mehr als 900 Regionen im menschlichen Erbgut mit fast 3000 Proteinen im Blut in Verbindung zu bringen, von denen viele zuvor nicht bekannt waren. Mithilfe bereits bestehender genetischer Studien zu Krankheiten fanden sie mehr als 500 Verbindungen zwischen Genen, Proteinen und Krankheiten.
Professorin Claudia Langenberg, Direktorin des Precision Healthcare University Research Institute (PHURI) an der Queen Mary University of London und AG-Leiterin am BIH, sagt: "Unser Team konnte zum ersten Mal nachweisen, dass Menschen mit einer hohen Blutkonzentration des Hormons GRP (Gastrin Releasing Peptid) weniger wahrscheinlich an Typ-2-Diabetes erkranken, vermutlich weil es die Gefahr von Übergewicht verringert. Dieser "proteogenomische" Nachweis unterstützt GRP als potenzielles Ziel, um Diabetes vorzubeugen und / oder zu behandeln."
Neue Zielmoleküle für Medikamente
Ein weiteres interessantes Ergebnis nennt Dr. Maik Pietzner, Gruppenleiter am BIH: Unsere Arbeit kann auch dabei helfen, bestehende Therapien zu verstehen und zu verbessern. So haben wir eine Verbindung des Proteins DKKL1 (Dickkopf-like Protein 1) mit Multipler Sklerose gefunden. Dieses Protein kommt fast ausschließlich in bestimmten Immunzellen, den B-Zellen vor, welche wiederum das Ziel der derzeit erfolgreichsten Behandlung für Multiple Skelrose sind."
Die Wissenschaftler*innen freuen sich über diese frühen Ergebnisse und sehen sich bestätigt in ihrer Hoffnung, durch die Gen-Protein-Krankheit-Verbindung neue Zielmoleküle für Medikamente oder präventive Maßnahmen zu entdecken. "Denn noch immer ist der fehlende Effekt von Medikamenten in Studien am Menschen der größte Faktor, an dem neue Therapien scheitern", erklärt Maik Pietzner.
Originalpublikation: "Proteogenomic links to human metabolic diseases", Nature Metabolism on 9 February 2023; DOI: 10.1038/s42255-023-00753-7; https://www.nature.com/articles/s41591-022-02046-0