Ursache für Entzündungsschock bei Kindern nach Corona aufgeklärt

Nature-Studie: PIMS ist auf Reaktivierung des Epstein-Barr-Virus zurückzuführen

PIMS ist ein heftiger Entzündungsschock bei Kindern, der mehrere Wochen nach einer Corona-Infektion auftreten und lebensbedrohlich werden kann. Die genaue Ursache für das Krankheitsbild war bisher nicht bekannt. Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Leibniz-Instituts Deutsches Rheuma-Forschungszentrum (DRFZ) berichten jetzt im Fachmagazin Nature*, dass bei betroffenen Kindern eine zuvor bestehende, ruhende Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus wieder aktiv wird und eine überschießende Entzündungsreaktion hervorruft. Die Erkenntnisse eröffnen neue Therapiemöglichkeiten, möglicherweise nicht nur für PIMS.

Corona verläuft bei Kindern größtenteils mild, in sehr seltenen Fällen werden die jungen Betroffenen aber doch schwer krank: Wochen nach der akuten Infektion, selbst wenn sie mild oder asymptomatisch verlief, spielt ihr Immunsystem verrückt und greift die Organe an. Die Kinder entwickeln beispielsweise eine Herzschwäche, Hautausschläge und hohes Fieber. Um ein Organversagen zu verhindern, muss ihr Immunsystem im Krankenhaus zur Ruhe gebracht werden – in der Hälfte der Fälle sogar auf der Intensivstation. Die Ursache für das Krankheitsbild, das als Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (PIMS) bezeichnet wird, war bis jetzt noch immer nicht abschließend geklärt.

„Als potenzielle Ursache für PIMS wurde bisher beispielsweise diskutiert, dass das Coronavirus im Körper überdauert oder das Immunsystem sich gegen sich selbst richtet“, sagt Prof. Tilmann Kallinich, Leiter der Sektion Rheumatologie an der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin der Charité und einer der beiden leitenden Autoren der Studie. „Wir haben nun Hinweise darauf gefunden, dass stattdessen das Wiederaufflammen eines zweiten Erregers, des Epstein-Barr-Virus, für den Entzündungsschock verantwortlich ist. Vereinfacht gesagt erwacht es aus seinem Ruhezustand, weil das Immunsystem der Kinder durch die Corona-Infektion durcheinandergerät und die ruhende Infektion nicht mehr in Schach halten kann.“

Infektion mit Epstein-Barr-Virus flammt wieder auf

Das Epstein-Barr-Virus (EBV) ist bekannt als Erreger des Pfeifferschen Drüsenfiebers, das mit grippeähnlichen Beschwerden einhergeht und teils viele Wochen der Genesung erfordert. Meist bleibt die Infektion jedoch unbemerkt, rund 90 Prozent der Menschen stecken sich im Laufe ihres Lebens mit dem Erreger an. „Selbst nach überstandener akuter Infektion ist das Virus jedoch noch nicht aus dem Körper entfernt“, erklärt Tilmann Kallinich, der auch eine Liaison-Arbeitsgruppe am DRFZ leitet. „Das Epstein-Barr-Virus nistet sich in verschiedenen Zellen des Körpers ein und entkommt so der Immunabwehr. Auf diese Weise überdauert es im Menschen ein Leben lang. Es kann Jahre nach der ersten Infektion wieder aufflammen, beispielsweise wenn das Immunsystem geschwächt ist.“

Ein solches Aufflammen einer Epstein-Barr-Virus-Infektion hat das Forschungsteam nun auch bei Kindern mit PIMS festgestellt. Für die Studie untersuchte es 145 Kinder im Alter zwischen 2 und 18 Jahren, die wegen PIMS in der Kinderklinik der Charité oder Krankenhäusern in Lyon (Frankreich), Neapel (Italien), Ankara (Türkei) oder Santiago (Chile) behandelt worden waren. Zum Vergleich zog es 105 Kinder heran, die ebenfalls eine Corona-Infektion durchgemacht, aber kein PIMS entwickelt hatten. Im Blut der Kinder mit PIMS fanden die Forschenden Spuren des Epstein-Barr-Virus sowie Antikörper und große Mengen spezifischer Immunzellen gegen das Virus – ein Hinweis auf eine aktive Auseinandersetzung des Körpers mit dem Erreger.

Auslöser der Reaktivierung: der Botenstoff TGFβ

„Wir haben zusätzlich festgestellt, dass die Immunzellen zwar gegen das Epstein-Barr-Virus ins Feld ziehen, aber sozusagen mit stumpfen Waffen kämpfen“, erläutert Dr. Mir-Farzin Mashreghi, stellvertretender wissenschaftlicher Direktor des DRFZ und Wissenschaftler an der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin der Charité. Zusammen mit Tilmann Kallinich hat er die Studie federführend verantwortet. „Den Immunzellen gelingt es nicht mehr, die EBV-infizierten Körperzellen abzutöten.“ Wie die Forschenden belegen konnten, liegt das an ungewöhnlich großen Mengen des Botenstoffs TGFβ (Transforming Growth Factor beta), die der Körper der Kinder infolge der Corona-Infektion produziert. TGFβ ist ein entzündungsdämpfendes Molekül, es hemmt die Funktion der Immunzellen und drosselt ihre Schlagkraft gegen das Epstein-Barr-Virus.  

Mir-Farzin Mashreghi fasst die neuen Erkenntnisse zur Entstehung von PIMS so zusammen: „Die Corona-Infektion setzt bei manchen Kindern ein sich hochschaukelndes System in Gang: Der Botenstoff TGFβ hindert die Immunzellen daran, das Epstein-Barr-Virus in Schach zu halten, das sich deshalb wieder vermehren kann. Daraufhin produziert der Körper mehr Immunzellen gegen das Virus, die aber weiter nicht funktionsfähig sind. Das gipfelt schließlich in einer extremen Entzündungsreaktion, die Organe schädigen und potenziell tödlich verlaufen kann.“

TGFβ-Blockade als möglicher Therapieansatz für PIMS und Long COVID

Die Entzündungskaskade lässt sich im Krankenhaus medikamentös gut durchbrechen, die allermeisten Kinder genesen nach PIMS. Bisher werden zur Behandlung von PIMS Entzündungshemmer wie Immunglobuline oder Kortison-Präparate eingesetzt. „Unsere Erkenntnisse deuten darauf hin, dass auch die frühzeitige und gezielte Blockade von TGFβ gegen PIMS helfen könnte“, resümiert Tilmann Kallinich. „Möglicherweise sind die neuen Erkenntnisse aber auch für weitere Corona-bedingte Krankheitsbilder relevant.“

Denn auch für Long COVID gibt es Hinweise, dass die Reaktivierung schlafender Viren eine Rolle spielt. „Vielleicht gibt es hier Parallelen zu den Vorgängen bei PIMS, dann wären TGFβ-Hemmer potenzielle Kandidaten für eine Therapie gegen Long COVID“, sagt Mir-Farzin Mashreghi. „Außerdem wissen wir, dass hohe TGFβ-Spiegel bei Erwachsenen mit schweren COVID-19-Verläufen zusammenhängen. Wir vermuten deshalb, dass sich der COVID-19-Krankheitsverlauf durch eine TGFβ-Blockade günstig beeinflussen lässt.“ Ob TGFβ-Hemmer bei Corona-bedingten Erkrankungen tatsächlich wirksam sind, müssen nun weitere Studien untersuchen.

*Goetzke CC et al. TGFβ links EBV to multisystem inflammatory syndrome in children. Nature 2025 Mar 12. doi: 10.1038/s41586-025-08697-6

Über PIMS
Das Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (PIMS) ist eine entzündliche Multisystemerkrankung bei Babys, Kindern und Jugendlichen, die vier bis acht Wochen nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 auftreten kann. Sie wird auch als Multisystemisches Entzündungssyndrom bei Kindern (Multisystem Inflammatory Syndrome in Children, MIS-C) bezeichnet und ähnelt insbesondere bei jüngeren Kindern dem Kawasaki-Syndrom, bei älteren Kindern dem Toxischen Schocksyndrom. Schätzungen zufolge hat eines von 800 Kindern nach einer Infektion mit der ursprünglichen Variante des Coronavirus PIMS entwickelt. Nach Infektion mit der seit Ende 2021 dominierenden Coronavirus-Variante Omikron erkrankt etwa eines von 4000 Kindern an PIMS.
 

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Kontakt

Dr. Mir-Farzin Mashreghi
Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin
Charité – Universitätsmedizin Berlin

und

Stellvertretender wissenschaftlicher Direktor
Deutsches Rheuma-Forschungszentrum, ein Leibniz Institut
T: +49 30 28 460 752