Synthetischer Zucker wehrt Pneumokokken ab

Neuartige Impfstoffe könnten besser vor manchen Formen der Lungen- und Hirnhautentzündung schützen als gängige Präparate

Gegen manche Formen von Lungen und Hirnhautentzündungen könnte es bald einen wirksameren Impfschutz geben. Ein Team um Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam hat einen synthetischen Zuckerimpfstoff identifiziert, der Versuchstiere ausgesprochen gut gegen Infektionen durch eine besonders gefährliche Variante von Pneumokokken – Mediziner sprechen vom Serotypen 1 – schützt. Vor allem in Entwicklungsländern erkranken viele Menschen, die sich mit diesem Serotypen anstecken, an einer Hirnhautentzündung. Der synthetische Impfstoff basiert auf chemisch erzeugten Zuckern. Diese wirken besser als der konventionelle Zuckerimpfstoff, der aus Bakterien isoliert wird, und lassen sich zudem einfacher verarbeiten. In Zusammenarbeit mit der Vaxxilon AG, einem unter anderem von den Max-Planck-Wissenschaftlern gegründetes Start-up, entwickeln die Forscher den Impfstoff nun weiter zur Marktreife.

Wirksame Impfstoffe gegen Bakterieninfektionen sind heute wichtiger denn je. Denn zum einen entwickeln Bakterien gegen immer mehr Antibiotika Resistenzen. Zum anderen scheitern Antibiotikabehandlungen in vielen Entwicklungsländern an der Verfügbarkeit und logistischen Schwierigkeiten. Nicht zuletzt deshalb sterben jährlich weltweit mehr als 1,6 Millionen Menschen durch Infektionen mit dem Erreger Streptococcus pneumoniae. In Deutschland fallen pro Jahr über 5000 Menschen einer Pneumokokken-Erkrankung zum Opfer. Das Risiko einer schwer verlaufenden Erkrankung ist dabei stark altersabhängig. Besonders gefährdet sind Kinder unter fünf Jahren, Menschen über 60 Jahre sowie chronisch Kranke. Pneumokokken können schwerwiegende Lungen- und Hirnhautentzündungen hervorrufen und stellen besonders in Entwicklungsländern ein anhaltendes Problem das. Besonders in afrikanischen Ländern südlich der Sahara ist dabei der Serotyp 1 (ST 1), ein besonders gefährlicher Stamm der Pneumokokken, verbreitet und verursacht dort viele Hirnhautentzündungen. Die Subsahara-Zone wird oft auch als Meningitis-Gürtel bezeichnet, da dort in den vergangenen Jahrzehnten große Meningitis-Epidemien auftraten.

 

Herkömmliche Impfstoffe schützen kaum vor ST1-Pneumokokken

Forscher des Potsdamer Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung, der Freien Universität Berlin und der Berliner Charité haben nun einen synthetischen Zuckerimpfstoff gegen den Serotypen 1 entwickelt. Dieser Pneumokokken-Stamm wird von herkömmlichen Impfstoffen nur unzureichend abgedeckt. Der neue Impfstoff der Impfstoff löste in Kaninchen dagegen eine sehr wirkungsvolle Immunantwort gegen ST1-Pneumokokken aus.

„Der synthetische Zuckerimpfstoff gegen Pneumokoken ist sehr vielversprechend und wird derzeit in Kombination mit zugelassenen Impfstoffen erprobt“, sagt Peter H. Seeberger, Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung.

Pneumokokken umgeben sich mit einer Kapsel aus Zuckermolekülen, um im Menschen zu überleben und sich dem Zugriff durch das Immunsystem zu entziehen. Hier setzen Impfstoffe an: Impfstoff-Entwickler machen die Zucker für das Immunsystem sichtbar, indem sie diese mit einem Trägereiweiß verknüpfen. So wird das menschliche Abwehrsystem dazu angeregt, Antikörper gegen das Bakterium zu bilden. Unter den mehr als 90 Pneumokokken-Stämmen finden sich allerdings auch solche, deren Zuckermoleküle sich nicht an Trägereiweiße anheften lassen, ohne ihre Wirksamkeit einzubüßen. „Bei der Verarbeitung isolierter Zucker kann es schnell passieren, dass ein wichtiger Baustein wie AAT verändert wird. Synthetische Zucker lassen sich hingegen bis ins Detail planen und entsprechend aufbauen, so dass das nicht passiert“ sagt Benjamin Schumann, ehemaliger Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung und Erstautor der Studie. Synthetische Zucker können dieses Problem umgehen und sind daher wirksamer.

Ein synthetischer Zucker bleibt für das Immunsystem erkennbar

 

Das machten sich die Forscher auch in der aktuellen Arbeit zunutze. Sie stellten fest, dass es bei der Verknüpfung von ST1-Zuckern mit einem Eiweiß vor allem darauf ankommt, dass ein ungewöhnlicher Aminozucker, den Chemiker kurz als AAT bezeichnen, für die Immunabwehr erkennbar bleibt. Dieser Baustein wird bei herkömmlichen Herstellungsverfahren verändert und deaktiviert, während er mit dem neuen chemischen Verfahren erhalten bleibt. „Unser synthetischer Zucker enthält einen künstlichen Verknüpfungspunkt, der mit dem Trägereiweiß reagiert, ohne AAT anzugreifen.“ Das Immunsystem wird so gegen den AAT-Baustein trainiert und bildet Antikörper, die ST1-Pneumokokken erkennen. Dabei simulierte der neuartige Impfstoffkandidat das Immunsystem sogar effektiver als einderzeit vermarktetes Präparat.

Nun wollen die Forscher aus Potsdam und Berlin den Impfstoff so weiterentwickeln, dass sie ihn in klinischen Studien an Menschen testen können. Zu diesem Zweck arbeiten sie mit dem Start-up-Unternehmen Vaxxilon AG zusammen, das die Max-Planck-Gesellschaft auf Initiative von Peter Seeberger gemeinsam mit dem Schweizer Actelion AG gegründet haben. Das Unternehmen verfolgt das Ziel, synthetische Impfstoffe auf Zuckerbasis zur Marktreife zu bringen. Peter Seeberger ist überzeugt, dass dieser Ansatz neue Perspektiven in der Medizin eröffnet: „Diese neue Generation von Zuckerimpfstoffen kann in wenigen Jahren Menschen vor gefährlichen Erregern schützen.“

MPIKG/PH