AOK-Forum live zum Thema „Mehr Patientensicherheit durch Mindestmengen“
Beim digitalen Talkformat „AOK Forum live“ der AOK Nordost haben am gestrigen Dienstagnachmittag die teilnehmenden Gesundheits-Expertinnen die Landesregierungen im Nordosten dazu aufgefordert, Mindestmengen-Vorgaben für komplexe Krankenhaus-Operationen konsequent umzusetzen und die damit einhergehenden Strukturveränderungen aktiv zu steuern. Der Gewinn an besserer Behandlungsqualität wiege Nachteile für einige Kliniken und weitere Wege für Patienten dabei auf. Denn eine Zentralisierung hochkomplexer Operationen führe dazu, dass allen Patientinnen eine gleichwertige Behandlungsqualität zugesichert werden könne – egal ob sie in der Stadt oder auf dem Land wohnen.
Höhere Mindestmenge rettet laut Studienlage Frühchen-Leben
Im vergangenen Dezember hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Mindestmengen für die Behandlung von Frühchen mit einem Geburtsgewicht von unter 1250 Gramm von 14 auf 25 erhöht. In Brandenburg führt dies nun dazu, dass ab 2024 voraussichtlich zwei von vier Perinatalzentren Level 1 diese Leistung nicht mehr anbieten können.
Dem G-BA-Beschluss zugrunde lag eine Studie des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIQ). Die stellvertretende IQTIQ-Leiterin Dr. Regina Klakow-Franck erläuterte: „Die Studie hat für Deutschland die Ergebnisse internationaler Studien bestätigt: Je mehr Frühchen in einem Perinatalzentrum versorgt werden, desto besser ist im Schnitt das Behandlungsergebnis. Die Schwierigkeit ist, einen sogenannten Cut-Off-Point festzulegen, ab dem man sagt, ab dieser Menge dürfen Zentren die Behandlung nicht mehr durchführen.“ Bei einer Mindestmenge von 50 bis 60 würden laut IQTIQ-Studie in Deutschland pro Jahr 25 bis 40 Frühchen weniger sterben als es derzeit der Fall ist. Andere europäische Länder hätten eine Mindestmenge in dieser Höhe festgelegt. Die Mindestmenge von 25 stelle einen Kompromiss zwischen verbesserter Behandlungsqualität und dem Verbleib von Perinatalzentren in der Fläche dar.
Gesundheitsnavigator bietet Patienten Orientierung bei der Klinikwahl
Daniela Teichert, Vorstandsvorsitzende der AOK Nordost sagte: „Wir setzen uns überall dort für Mindestmengen ein, wo es eine gesicherte Studienlage gibt, dass sie die Behandlungsqualität verbessern. Wir sind der Meinung, dass unsere Versicherten nicht in das nächste Krankenhaus fahren sollten, sondern in das nächste, dass eine hochwertige Behandlungsqualität bietet.“
Die AOK biete mit dem Gesundheits-Navigator und der Mindestmengen-Transparenzliste gute Orientierungsmöglichkeiten für die Auswahl der Klinik für geplante Eingriffe und berate ihre Versicherten auf Wunsch auch telefonisch.
Bezogen auf durch Mindestmengen und andere Qualitätsvorgaben notwendige Zentralisierungsprozesse bei hoch spezialisierten Behandlungen forderte Teichert eine stärkere Einbeziehung der Krankenkassen in die Krankenhausplanungs-Prozesse der Länder. Zugleich verwies sie darauf, dass vom Bund bereitgestellte Finanzmittel bereitstehen, diesen Konzentrationsprozess gut zu begleiten. So werden den Ländern mit dem Strukturfonds bis zum Jahr 2022 rund 120 Millionen Euro Fördermittel zur Verfügung gestellt, um Krankenhäuser etwa bei baulichen Veränderungen finanziell zu unterstützen.
Dr. Jouleen Gruhn, für Krankenhäuser zuständige Referatsleiterin im Brandenburger Gesundheitsministerium, sagte, auch das Ministerium wolle eine hochwertige Medizin - aber es lägen keine Anhaltspunkte vor, dass die bestehenden Brandenburger Perinatalzentren, die die neue Mindestmenge unterschritten, keine hochwertige Versorgung anböten. Daher setze sich das Ministerium dafür ein, dass die Zentren erhalten blieben.
Die Patientenvertreterin Sabine Leitner vom Bundesverband „Das frühgeborene Kind“ – selbst Mutter eines Kindes, das als Frühchen zur Welt kam, machte deutlich, warum der Bundesverband sich für die Anhebung der Frühchen-Mindestmenge auf 30 eingesetzt hatte. Nur zehn Prozent der Frühgeborenen seien bei der Geburt so leicht, dass sie in Perinatalzentren Level 1 betreut werden müssten. „Diese Frühchen sind besonders unreif und verletzlich, deshalb ist es für uns als Eltern wichtig, dass diese Kinder in Zentren geboren werden, die wirklich routiniert sind.“ In Zentren, die nur etwas mehr als einen Fall pro Monat betreuten, fehle den behandelnden Ärztinnen und Ärzten oft die Routine, wenn es zu seltenen Komplikationen komme. Auch die Pflegekräfte müssten ein wahnsinniges Geschick haben, die Eltern, die sich nach der Geburt in einer Krisensituation befänden, in Kontakt mit dem Kind zu bringen. Auch im Trauerfall sei eine solche hochwertige psychosoziale Betreuung immens wichtig. Sie erfordere strukturelle Voraussetzungen, die kleine Perinatalzentren nur schwer leisten können.
Kooperationen als akademische Lehrkrankenhäuser als Alternative
Ministeriumsvertreterin Dr. Jouleen Gruhn wies darauf hin, dass nicht außer Acht gelassen dürfe, dass 1 Level 1-Perinatalzentren, die ihren Status verlören, das Problem hätten, ärztliches Personal zu halten und neu anzuwerben. „Wenn wir die Perinatalzentren von Level 1 auf Level 2 herunterstufen, laufen den Kliniken die Kinderärzte weg.“ Dr. Regina Klakow-Franck entgegnete, es könne nicht sein, dass die Attraktivität einer Klinik für ärztliches Personal ausschließlich davon abhänge, weiterhin komplexe Frühchen behandeln zu können, obwohl die studienbasierte Mindestmenge unterschritten werde. Sie schlug vor, betroffene Perinatalzentren dabei zu unterstützen, Kooperationen als akademische Lehrkrankenhäuser einzugehen, um die Weiterbildung zu sichern.
Auch Patientenvertreterin Sabine Leitner macht deutlich, dass es zwar wichtig sei, den betroffenen Zentren eine Perspektive zu bieten: „Aber wir müssen dafür zuständig sein, die Qualität an die erste Stelle zu stellen.“ Die nun getroffene Entscheidung über die Erhöhung der Mindestmenge biete zudem einen großzügigen Übergangszeitraum bis 2024 an, um die Umstrukturierung der Frühchenversorgung aktiv zu gestalten. Diese Zeit gelte es nun zu nutzen. Und Daniela Teichert sagte: „Qualitätsvorgaben können Leben retten, wenn wir den Mut haben, die eindeutige Studienlage, die es zu Mindestmengen gibt, auch den Patientinnen und Patienten zugutekommen zu lassen.“