Portrait: Das BCRT will mehr als nur Krankheiten behandeln
Die Regenerative Medizin basiert auf zwei Fragen: Was würde der Körper bei einer Verletzung oder einer Krankheit selbst machen – die sogenannte in situ Regeneration? Und wie können wir dem Körper helfen, wenn Heilung von selber nicht stattfindet? Das Berlin-Brandenburger Centrum für Regenerative Therapien (BCRT) versucht diese Fragen zu beantworten und entwickelt für Patienten mit ungelösten klinischen Problemen neue Therapien. Damit verfolgt das BCRT einen echt kurativen Ansatz mit dem Ziel, funktionsgestörte Zellen, Gewebe und Organe vor allem durch die Anregung körpereigener Reparaturprozesse durch Zellen, Biomaterialien und bioaktive Substanzen wiederherzustellen. Auf diesem Weg ist oftmals bereits eine qualifizierte Diagnose ein erster, wesentlicher Schritt.
Hans-Dieter Volk, Direktor des BCRT, blickt mit Stolz auf die vergangenen zehn Jahre, die für das transdisziplinär und translational orientierte Zentrum sehr erfolgreich waren. „Unser Ansatz war damals ein Paradigmenwechsel, der große Herausforderungen an die Vorgehensweise und das Denken der Wissenschaftler gestellt hat. Heute wissen wir: Es hat sich gelohnt – das BCRT ist weltweit als Zentrum der Spitzenforschung anerkannt. Das größte Kompliment ist, dass unser Konzept vielfach kopiert wird.“ Erste Produkte, die auf der Forschung am BCRT beruhen, sind heute am Markt verfügbar. Sie können zum Beispiel helfen, präzisere Diagnosen über den Zustand des Immunsystems zu stellen und kommen so schon heute Patienten bei der Auswahl eines Behandlungskonzepts zugute.
Das BCRT konzentriert sich auf ausgewählte klinische Felder (Erkrankungen des Immunsystems, des muskuloskelettalen Systems und des Herz-Kreislauf-Systems) und Technologieentwicklungen (Molekulare Analyse und Engineering, Polymerbasierte Biomaterialien, In Situ Tissue Engineering). Der Ansatz geht von den Bedürfnissen des jeweiligen Patienten – dem Medical Need – aus, um eine Erkrankung frühzeitiger beziehungsweise spezifischer zu erkennen und damit gezielter therapieren zu können.
Zielgerichtete Partnerschaft
2006 wurde das BCRT in gemeinsamer Trägerschaft von der Charité-Universitätsmedizin Berlin und dem Helmholtz-Zentrum Geesthacht gegründet. Die mehr als 250 Mitarbeiter – Ärzte, Naturwissenschaftler, Ingenieure, Translationsexperten, Doktoranden und technische Mitarbeiter – verteilen sich auf zwei Standorte: Sie arbeiten am Campus Virchow-Klinikum der Charité und am Campus Teltow des Instituts für Biomaterialforschung des Helmholtz-Zentrums Geesthacht. „Von Anfang an wurden gezielt Projekte gefördert, die Forscher unterschiedlicher Gebiete zusammenbringen. Das hat sehr gut funktioniert. So wurden beispielsweise neue Anwendungsfelder für spezifisch entwickelte Biomaterialien durch die Diskussionen identifiziert und in Projekten erprobt“, erklärt Andreas Lendlein, Vizedirektor des BCRT, die besondere Zusammenarbeit.
Die Überführung von wissenschaftlicher Erkenntnis in eine Anwendung – Translation genannt – definiert das BCRT als seine Kernaufgabe. „Wir sehen es als erfolgreiche Translation an, wenn wir etwas in die erste klinische Studie überführt haben“, erläutert Christoph Feest von der Innovationsplattform des BCRT. „Um dies effizient zu ermöglichen, müssen wir die Trennung von akademischer und klinischer Forschung sowie der Forschung und Entwicklung von der Industrie überwinden.“ Es gehe darum, nachhaltige Therapien zu entwickeln, die über die reine symptomatische Behandlung hinausgehen, sodass die Lebensqualität von Patienten langfristig erhöht wird.
Ideenaustausch dank offener Strukturen
Die Voraussetzungen dafür bringt das BCRT mit, denn dort kommen Grundlagenforschung, klinische Forschung und Spitzentechnologie zusammen. „Dadurch können wir die Komplexität von Krankheitsbildern erfassen und Therapieansätze entwickeln, die die Stärken der einzelnen Fachgebiete ausnutzen“, erklärt Feest. Durch das Arbeiten in offenen Laborstrukturen sei schon im täglichen Umgang ein Ideenaustausch sichergestellt. „Dass wir von der Grundlagenforschung bis hin zur Herstellung von Proben für die erste Anwendung am Menschen alles im Haus haben, ist einzigartig“, betont er.
Von diesen modernen Strukturen profitiert auch Ahmed Elsanhoury bei seinem Forschungsprojekt. Der Apotheker untersucht, ob mit dem Arzneistoff Telbivudin – eigentlich zur Behandlung einer chronischen Hepatitis B (Leberentzündung) im Einsatz – eine durch das Parvovirus B19 hervorgerufene Myokarditis (Herzmuskelentzündung) therapiert werden könnte. „Am BCRT kann ich den gesamten Prozess durchlaufen, von der Molekularforschung bis hin zu den immunologischen Auswirkungen auf den Patienten“, erklärt Elsanhoury. Auch die enge Kooperation mit der Berlin-Brandenburg School for Regenerative Therapies (BSRT) sei für ihn von Vorteil. Dort erhalten Nachwuchswissenschaftler die nötige Unterstützung während ihrer Promotion, um später translational arbeiten zu können. „Wir sehen drei Ts als Stärke unserer Arbeit an – Transdisziplinarität, Technologie, Translation“, sagt Georg Duda, Vizedirektor des BCRT und Sprecher der BSRT.
Umfassende Begleitung für erfolgreiche Forschung
Um Wissenschaftler und Mediziner zu entlasten und zu beraten, werden Projekte frühzeitig und umfassend durch interne Mitarbeiter der Klinischen Entwicklungsplattform und der Innovationsplattform begleitet. Damit werden regulatorische Fragen (EMA, FDA) in der Vorbereitung und klinischen Studien sowie Schutz des geistigen Eigentums und wirtschaftliche Verwertung rechtzeitig angegangen und berücksichtigt. „Klinische Studien werden wissenschaftlich sehr eng begleitet, sodass umfassende Erkenntnisse gewonnen werden, die wir in einen iterativen Verbesserungszyklus einspeisen. Wir nennen das ‚refined translation‘, also das Verstehen, warum eine Therapie mehr oder weniger anschlägt“, erklärt Mohamed Abou El-Enein, Leiter der Klinischen Entwicklungsplattform. Damit wird das Risiko reduziert, dass klinische Entwicklungen in späten, teuren Studien scheitern.
Die Ansiedlung des BCRT in der Gesundheitsregion Berlin-Brandenburg empfindet Direktor Volk als Glücksfall: „Durch die exzellente Vernetzung mit unseren Partnern aus Wissenschaft, Forschung, Industrie sowie der Einbindung in das klinische Umfeld sind wir für den internationalen Wettbewerb gut aufgestellt.“ Zudem entfalte die Hauptstadtregion eine hohe Anziehungskraft auf die Forscherinnen und Forscher – ein Faktor, den man beim weltweiten Kampf um die besten Köpfe nicht unterschätzen sollte. Volk blickt zuversichtlich nach vorn: „Wir werden uns weiterhin für eine Medizin der Zukunft stark machen, die nicht einfach nur ‚Krankheiten behandelt‘, sondern vielmehr der ‚Wiederherstellung von Gesundheit‘ verpflichtet ist.“