Neue Zielstruktur für Wirkstoffe in der Psychiatrie
Eine neue, im „EMBO Journal“ veröffentlichte Studie könnte potenziell neue Therapiestrategien für psychiatrische und gastrointestinale Leiden ermöglichen, die mit den derzeit verfügbaren Medikamenten nicht gut behandelbar sind. Dr. Bianca Introini und ihre Kolleg*innen der Arbeitsgruppe „In situ Strukturbiologie“ von Professor Misha Kudryashev haben ein stabiles Zwischenprodukt des pentameren Serotonin-Rezeptors 5-HT3A identifiziert. Dass sie überhaupt eine solche Struktur in einem zellulären Membranprotein isolieren konnten, sei bemerkenswert, sagt Kudryashev. Denn solche Zwischenprodukte lassen sich generell schwer extrahieren. Es könnte als Angriffspunkt für neue Wirkstoffe dienen.
Serotonin ist als Neurotransmitter bekannt, der die Aktivität von Nervenzellen und eine Vielzahl neuropsychologischer Prozesse reguliert. Medikamente, die auf Serotoninrezeptoren abzielen, werden in der Psychiatrie und Neurologie häufig verschrieben. Patienten*innen, die aufgrund einer Chemo- oder Strahlentherapie unter Übelkeit oder Erbrechen leiden, bekommen sie ebenfalls. Diese Medikamente haben jedoch oft Nebenwirkungen, die ihren Einsatz beschränken.
Von den sieben bekannten Serotoninrezeptoren ist nur 5-HT3A ein Ionenkanal. Ionenkanäle sind porenbildende Transmembranproteine, die als Pförtner fungieren und den Fluss ausgewählter Ionen durch die Zellmembranen ermöglichen. Zellen mit 5HT3A-Ionenkanälen befinden sich im Hirnstamm und im Magen-Darm-Trakt. Diese Zellen sind Teil eines Nervennetzwerks, das die Bewegung der Nahrung durch den Darm reguliert, sensorische Informationen übermittelt und den Brechreflex auslöst.
Die Struktur der Serotoninrezeptoren
Lebende Zellen sind von einer Membran umhüllt. Eingebettet in diese Zellhüllen sind oft Proteine, die dabei helfen, Signale weiterzuleiten und Substanzen durch die Membran zu transportieren. Membranproteine sind daher für die Zellgesundheit essenziell – werden sie in ihrer Funktion gestört, trägt das zu verschiedenen Krankheiten bei.
Membranproteine können multimere Strukturen bilden: Sie setzen mehrere Kopien desselben Moleküls zu einer endgültigen, funktionsfähigen Struktur zusammen. Die Synthese und der Zusammenbau dieser multimeren Membranproteine finden jedoch tief im Inneren der Zellen statt, was die Analyse der Zwischenprodukte im Laufe dieses Vorgangs erschwert.
Seit Jahren untersucht Kudryashevs Arbeitsgruppe auf atomarer Ebene, wie sich der Ionenkanal des Serotoninrezeptors öffnet und schließt, wenn Serotonin daran bindet. Um die Struktur des Proteins aufzuklären, verwendet das Forschungsteam die Kryo-Elektronenmikroskopie. Diese Technologie ermöglicht es, eine dünne Schicht gefrorener Proteine oder Zellen mithilfe von Elektronen zu betrachten.
Nicht die klassischen Fünf
Als sie Struktur des 5-HT3A-Rezeptors analysierte, stellte Introini fest, dass einige Moleküle aus vier Untereinheiten bestanden, also in einem Tetramer-Komplex gebunden waren, statt sich aus klassischerweise fünf Untereinheiten zusammenzusetzen. „Das war eigenartig“, sagt Introini, „denn Cys-Loop-Rezeptoren bestehen aus fünf Protein-Untereinheiten.“ Diese fünf Untereinheiten bilden normalerweise einen pentameren Komplex.
Um tiefere Einblicke in die Funktion der Tetramere zu gewinnen, arbeiteten die Forscher*innen mit Wissenschaftler*innen vom Forschungszentrum für computergestützte Arzneimittelforschung am Institut für Biomedizin und Biotechnologie in Shenzhen, China, zusammen. Aufgrund von Computersimulationen gingen sie davon aus, dass das Tetramer eine Zwischenverbindung ist, die gebildet wird, um die endgültige pentamere Struktur zu erzeugen.
Interessanterweise existieren die Tetramere in zwei unterschiedlichen Varianten. Eine trägt eine teilweise offene extrazelluläre Domäne, die es ermöglicht, die fünften Einheit einzubinden. Das zeigten Molekulardynamik-Simulationen, erklärt Kudryashev und liefert damit den Nachweis, dass das Tetramer tatsächlich ein Übergangsmolekül darstellt.
„Die Ergebnisse der Studie erweitern nicht nur unser Wissen, wie sich diese und andere multimere Proteine in Membranen bilden und anordnen“, sagt Kudryashev, „sie deuten auch auf eine potenziell alternative Strategie zur Regulierung des Serotoninspiegels in Zellen hin, bei der man auf dieses Zwischenprotein abzielt.“
Weiterführende Informationen
Kontakte
Prof. Dr. Misha Kudryashev
Leiter der Arbeitsgruppe „In situ Strukturbiologie“
Max Delbrück Center
mikhail.kudryashev@ mdc-berlin.de
Gunjan Sinha
Redakteurin, Kommunikation
Max Delbrück Center
+49 30 9406-2118
Gunjan.Sinha@ or mdc-berlin.depresse@ mdc-berlin.de