Neue Erkenntnisse zur Festigkeit des Gehirns bei Multipler Sklerose - Messung der Gewebekonsistenz könnte MS-Überwachung verbessern

Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max Delbrück Centers haben neue Erkenntnisse gewonnen, nach denen die Steifigkeit des Gehirns Hinweise auf den Grad der Entzündung bei Multipler Sklerose liefert. Hier beantworten sie Fragen zu ihren Forschungsergebnissen.

 

Welche wissenschaftliche Fragestellung liegt Ihrer Studie zugrunde?

Zur Diagnose und Überwachung von Multipler Sklerose (MS) kommt routinemäßig die Magnetresonanztomografie (MRT) zum Einsatz. Veränderungen in der grauen Hirnsubstanz, die bekanntermaßen zur Entwicklung von MS-Symptomen beitragen, lassen sich mit der MRT jedoch nur schwer erkennen. Um sie besser sichtbar zu machen, haben wir die Tomoelastografie genutzt. Das ist ein neues bildgebendes Verfahren, das die Festigkeit von Gewebe messen kann. Wir wussten bereits, dass sich die Hirnsteifigkeit bei MS verändert. Jetzt haben wir untersucht, ob sich anhand der Steifigkeit insbesondere der grauen Substanz die Krankheitsaktivität ablesen lässt.

Wie sind Sie vorgegangen?

Die Tomoelastografie ist ein von uns entwickeltes nichtinvasives MRT-ähnliches Verfahren, mit dem sich die Hirnsteifigkeit sowohl bei Menschen als auch bei Mäusen messen lässt. In der medizinischen Bildgebung ist das sehr wertvoll, weil wir die Gewebefestigkeit im Mikrometermaßstab bei kleinen Tieren in der präklinischen Forschung und mit gröberer Auflösung in klinischen MRT-Scannern bei Patient:innen abbilden können. Dadurch konnten wir die mechanischen Veränderungen im Mäusegehirn entschlüsseln und so mehr über die Prozesse beim Menschen erfahren.

Was haben Sie herausgefunden?

Die Hirnrinde, also die äußere, aus grauer Substanz bestehende Schicht des Gehirns, ist bei MS-Betroffenen weniger steif als bei gesunden Menschen. Im Tiermodell zeigte sich, dass das auf Veränderungen in den perineuronalen Netzen zurückzuführen ist. Perineuronale Netze bilden ein Geflecht, das die Neuronen umgibt und das sich bei einer Entzündung lockert. Das beeinträchtigt die Verbindungen zwischen den Neuronen und verursacht möglicherweise kognitive Probleme. Die gute Nachricht: Der Verlust der Steifigkeit im Tiermodell scheint reversibel zu sein; sobald die Entzündung abebbt, erholen sich die perineuronalen Netze und das Gewebe wird wieder fest.

Was hat Sie überrascht?

Uns hat überrascht, wie ähnlich die Vorgänge bei Mensch und Tier waren. Die Prozesse, die wir im Mausmodell beobachtet haben, zeigten sich auch beim Menschen.

Welches Fazit können Sie ziehen?

Unserer Studie zufolge könnte die Tomoelastografie künftig dazu verwendet werden, anhand der Veränderungen in der Hirnrinde bei MS-Betroffenen festzustellen, ob die Therapie bei ihnen wirkt. Die Studie unterstreicht auch, wie wichtig die Untersuchung der grauen Substanz bei MS ist, da Veränderungen in der Hirnrinde mit kognitiven Symptomen und dem frühen Auftreten der Krankheit einhergehen. Mit der Tomoelastografie die mechanischen Eigenschaften des Gehirns auszulesen, bietet eine neue Möglichkeit zur Überwachung der Krankheitsaktivität und der Wirksamkeit von Medikamenten bei MS.

Quelle

Silva RV et al. Cortical matrix remodeling as a hallmark of relapsing-remitting neuroinflammation in MR elastography and quantitative MRI. Acta Neuropathol 2024 Jan 4. doi:10.1007/s00401-023-02658-x

Kontakt

Prof. Carmen Infante Duarte
Experimental and Clinical Research Center
Charité – Universitätsmedizin Berlin

Prof. Ingolf Sack
Klinik für Radiologie
Charité – Universitätsmedizin Berlin

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