Multiresistente Bakterien mit Tarnkappe

Ein bislang unbekanntes Protein macht Erreger vom Typ Staphylococcus aureus für das Immunsystem unsichtbar

Für die Behandlung von Infektionen mit besonders gefährlichen Bakterien gibt es jetzt einen neuen Ansatzpunkt. Forscher der Universität Tübingen und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) haben gemeinsam mit Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung herausgefunden, wie Staphylococcus aureus der Immunabwehr entkommt. Demnach verhilft ein bislang unbekanntes Protein dem Erreger, der vor allem in Krankenhäusern lebensbedrohliche Infektionen auslösen kann, zu einer Tarnkappe. Die Struktur und die Funktion des Proteins haben die Forscher nun aufgeklärt und schaffen damit die Basis, die Erreger für das Immunsystem erkennbar zu machen.

 

Infektionen durch Bakterien wie Staphylococcus aureus verursachen weltweit zahlreiche Todesfälle. In Krankenhäusern gefürchtet sind vor allem die gegen das Antibiotikum Methicillin resistenten Staphylokokken-Stämme, kurz MRSA genannt. Nach einer Anfang November veröffentlichten Untersuchung gab es allein im Jahr 2015 in der EU rund 670.000 Erkrankungen durch multiresistente Erreger. 33.000 Patienten starben.

In der Regel kommt unser Immunsystem mit vielen Krankheitserregern wie Bakterien oder Viren gut zurecht. Bei manchen Keimen aber versagen die Abwehrstrategien des menschlichen Körpers, besonders bei immungeschwächten Patienten. Bei Keimen mit entsprechenden Resistenzen helfen zudem die wirksamsten Antibiotika nicht. Effektive Ersatzantibiotika und ein protektiver Impfstoff gegen MRSA sind bislang nicht in Sicht. Das internationale Team um Forscher der Universität Tübingen und des DZIF hat nun zu einem besseren Verständnis beigetragen, wie manche Bakterien die Immunabwehr ins Leere laufen lassen, und könnte so neue Therapien gegen die Erreger ermöglichen.

Das Protein TarP verhindert die Bildung von Antikörpern

Die Wissenschaftler haben nun beschrieben, wie sich MRSA-Keime für das Immunsystem unsichtbar machen. Demnach haben viele der besonders häufigen MRSA-Keime ein bislang unbekanntes Protein erworben, das dazu führt, dass die Erreger nicht mehr durch Antikörper des Immunsystems erkannt werden. Die Tübinger Forscher gaben dem Protein den Namen TarP (kurz für teichoic acid ribitol P).

„TarP verändert das Muster von Zuckermolekülen auf der Erregeroberfläche auf eine bislang unbekannte Weise“, erklärte Andreas Peschel, Professor am Interfakultären Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin der Universität Tübingen. „Dies führt dazu, dass das Immunsystem keine Antikörper gegen das wichtigste MRSA-Antigen, die Teichonsäure, bilden kann.“ Das Immunsystem werde so nicht nur blind, es verliere auch die wichtigste Waffe gegen den Erreger.

Von Phagen umprogrammiert

Die Tübinger Forscher gehen davon aus, dass die bakterielle Tarnkappe das Ergebnis einer Auseinandersetzung zwischen den Krankheitserregern und ihren natürlichen Feinden, den sogenannten Phagen, ist. Als Bakteriophagen wird eine Klasse von Viren bezeichnet, die Bakterien befällt, diese als Wirtszelle nutzt und sich von ihnen ernährt. Im vorliegenden Fall haben Phagen offenbar ihren Wirt mit Hilfe des TarP-Proteins umprogrammiert und so die Oberfläche des Bakteriums verändert.

Den Erstautoren der Arbeit, David Gerlach und Yinglan Guo, gelang es, den Mechanismus und die Struktur von TarP genau aufzuklären. „Wir verstehen jetzt detailliert, wie das Protein auf der molekularen Ebene als Enzym funktioniert“, sagte Gerlach. Die Struktur-Funktionsanalyse von TarP bilde eine exzellente Basis, um neue Wirkstoffe zu entwickeln, die TarP blockieren und die Erreger wieder für das Immunsystem erkennbar machen. Wichtig für den Erfolg dieser Arbeiten war ein interdisziplinärer Ansatz, an dem weitere Wissenschaftler aus Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Italien, den Niederlanden und Südkorea beteiligt waren. So haben Wissenschaftler um Peter Seeberger, Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, mit synthetische Glykane den Schlüssel zur Strukturanalyse des Erkennungsprozesses geliefert.

„Die Entdeckung von TarP kam für uns völlig überraschend. Sie erklärt sehr gut, warum das Immunsystem oft keine Chance gegen MRSA hat“, sagte Thilo Stehle, Professor am Interfakultären Institut für Biochemie. „Die nun vorliegenden Ergebnisse werden uns helfen, bessere Therapien und Impfstoffe gegen die Erreger zu entwickeln.“

Uni Tübingen/PH