„KlarText“-Preis für MDC-Forscherin
Proteine, Aminosäuren, Gene – in den Laboren des Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) dreht sich alles um komplizierte Vorgänge innerhalb von Zellen. So tragen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit ihrer Arbeit dazu bei, Krankheiten zu verstehen. Die Welt der Wissenschaft überschneidet sich dabei nur selten mit dem alltäglichen Leben von betroffenen Patientinnen und Patienten. Höchstens Gewebe- oder Blutproben von anonymen Erkrankten finden ihren Weg ins Labor.
Im Fall der Forschungsarbeit von Dr. Katrina Meyer war das anders. Sie arbeitete konkret mit einer Patientin zusammen. Während ihrer Promotion am MDC durchforstete sie Datenbanken auf der Suche nach Genveränderungen, die Krankheiten hervorrufen. Dabei wollte Meyer Mutationen finden, die Proteine an einer ganz bestimmten Stelle verändern, in einem Proteinstückchen, das viele Forschende für eher unwichtig halten. Bei ihrer Recherche stieß sie auf eine Mutation, die das Glut1-Defizit-Syndrom verursacht. Erkrankte leiden an Krampfanfällen, die manchmal nur bei einer streng ketogenen Diät, durch den Verzicht auf Kohlenhydrate, etwas nachlassen. Schließlich spürte Meyer einen Arzt aus den USA auf, der eine Patientin mit der von ihr untersuchten Mutation im Gen für Glut1 behandelte. Von ihm erhielt Meyer Zellproben aus dem Arm der Patientin, die Meyer anschließend im Labor bearbeitete. Aus der unbekannten US-Patientin wurde Macie aus den USA, als sich irgendwann die Familie bei der MDC-Forscherin meldete. „Ihre Mutter hat Kontakt zu uns aufgenommen“, berichtet Meyer.
Der Kontakt zu Macie und ihrer Familie war für Meyer etwas ganz Besonderes. Diese Geschichte wollte Meyer gerne weitererzählen und schrieb deshalb einen Artikel für den „KlarText – Preis für Wissenschaftskommunikation“ – mit Erfolg: Am 10. Oktober 2019 zeichnete die Klaus Tschira Stiftung Meyers Text in der Kategorie „Biologie“ aus. Der Artikel „Verirrte Proteine“ erscheint u.a. im Wissensmagazin „KlarText“, einer Beilage der Wochenzeitung DIE ZEIT.
Protein auf Abwegen
Während ihrer Doktorarbeit am MDC ging die gebürtige Berlinerin den molekularen Ursachen auf den Grund, die das Glut1-Defizit-Syndrom bei Macie auslösen. Wie bei vielen anderen Erbkrankheiten auch sind die tatsächlichen Vorgänge in der Zelle, sagt Meyer, noch kaum erforscht. In der Arbeitsgruppe von Professor Matthias Selbach fand sie heraus, was die Mutation in Macies Zellen genau bewirkt. Auf Grund der Veränderung in dem kleinen Proteinstückchen von Glut1 scheint der Transport von Zucker vom Blut ins Gehirn nicht mehr zu funktionieren. Meyer stellte fest, dass dies bei Macie jedoch nur die halbe Wahrheit sein konnte: Die Mutation führe nicht etwa zu einem kaputten Protein, sondern zu einem verirrten: Glut1 war in Macies Zellen nicht in der Zellmembran, wo es eigentlich sein sollte, sondern es hatte sich ins Zellinnere verirrt. „Dort kann es seine Aufgabe als Transportmolekül aber gar nicht mehr ausführen“, schlussfolgert Meyer in ihrer Doktorarbeit. „Eine solche Veränderung im Protein lockt Moleküle an, die es dann ins Zellinnere verfrachten“, erklärt sie. Dieser Prozess heißt Endozytose: Die Zellmembran stülpt sich ein und nimmt Partikel aus der Umgebung und der Membran auf, die dann in der Zelle landen.
All dies erklärte Meyer auch Macies Familie. Glenna Steele ist Macies Mutter und Geschäftsführerin der „Glut1 Deficiency Foundation“, einer US-Stiftung, die Aufmerksamkeit für Menschen mit dieser Krankheit hervorrufen möchte. Meyer und Steele tauschten Bilder aus, von Macie in Disneyland – und dem Glut1-Protein an der falschen Stelle in der Zelle.
Macie und ihre Familie erfuhren durch den E-Mail-Kontakt mit Meyer, warum Glut1 seiner Funktion als Transportmolekül in Macies Körper nicht mehr nachkommen kann. Die Forschungsergebnisse wurden in der renommierten Fachzeitschrift „Cell“ veröffentlicht. Meyer kann sich vorstellen, dass es möglich wäre, mit dem Wissen um den Krankheitsmechanismus gezielte Medikamente zu entwickeln. „Eine Heilung für das Glut1-Defizit-Syndrom gibt es bislang leider noch nicht. Meine Arbeit liegt ja auch eher in der Grundlagenforschung. Es ist also leider unwahrscheinlich, dass Macie bald von meinen Ergebnissen profitieren wird“, sagt Meyer.
„Ich will keine falschen Hoffnungen wecken“
Meyer findet es wichtig, über Forschung zu sprechen, auch mit Menschen, die selbst keine Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler sind. Sie gehört zu den Forscherinnen, die auch auf Twitter über ihre Arbeit berichten. Mit dem „KlarText“-Artikel wendet sie sich nun zum ersten Mal an ein großes nicht-wissenschaftliches Publikum. „Mir liegt am Herzen, dass die Leute wissen, dass die Ergebnisse aus der Wissenschaft oft in einem ganz bestimmten Kontext erworben werden und nicht automatisch in Stein gemeißelt sind“, sagt sie. „Durch den Kontakt mit Macies Familie, wurde mir erst bewusst, welche Verantwortung wir als Forschende tragen – und, dass man nichts Unbedachtes sagen sollte, was falsche Hoffnungen wecken könnte.“ Auch wenn noch keine direkte Hilfe für Macies Erkrankung in Sicht ist, könnten Meyers Ergebnisse dennoch einen möglichen Anknüpfungspunkt für andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler darstellen, die Therapien gegen das Glut1-Defizit-Syndrom oder andere Erbkrankheiten mit gleicher Ursache entwickeln wollen.
Für ihren Artikel über Macie und die verirrten Proteine erhält Meyer nun 5000 Euro Preisgeld und einen Platz in einem Workshop für Wissenschaftskommunikation. Insgesamt sechs Forschende zeichnete die Klaus Tschira Stiftung aus, in den Kategorien Biologie, Chemie, Geowissenschaften, Informatik, Mathematik, Neurowissenschaften oder Physik. „Mit dem Preis wollte Klaus Tschira den Dialog zwischen Forschenden und der Öffentlichkeit vorantreiben“, sagt Beate Spiegel, Geschäftsführerin der Klaus Tschira Stiftung. Alle Siegerbeiträge sind auf der Webseite der Stiftung veröffentlicht.
Weitere Informationen:
https://klartext-preis.de/?p=3244 (Der Sieger-Beitrag "Verirrte Proteine")
https://www.mdc-berlin.de/de/news/press/verirrte-proteine-loesen-erbkrankheiten-... (Pressemitteilung zur Cell-Publikation von Katrina Meyer et al)