Interview | Nicole Büttner-Thiel, Gründerin, CEO von MerantixMomentum, Vorstandsmitglied im Bundesverband Deutsche Start-ups
Nicole Büttner-Thiel hat an der Universität St. Gallen, der Stockholm School of Economics und an der Stanford University Volkswirtschaftslehre studiert. Ihre Karriere begann sie als Hedge Fonds Investorin bei OFI AM in Paris. 2019 gründete sie MerantixMomentum – eine IT-Firma mit Sitz in Berlin, die auf künstliche Intelligenz (KI) spezialisiert ist. Außerdem sitzt sie im Management der Dachfirma Merantix AG, das als KI Venture Studio mit einer Fondsstruktur KI-Firmen aufbaut. Die Unternehmerin schreibt, referiert und lehrt regelmäßig zum Thema KI und wurde bereits mehrfach ausgezeichnet: Unter anderem wählte sie das Capital Magazin zweimal unter die Top 40 unter 40 und das World Economic Forum kürte sie zum Digital Leader. Wir haben mit ihr über die Chancen und Risiken von Künstlicher Intelligenz in der Gesundheitsversorgung gesprochen.
1. Frau Büttner-Thiel, warum sind die Themen Daten und Künstliche Intelligenz aus Ihrer Perspektive wichtig für die Gesundheitsbranche?
KI kann aus meiner Sicht an ein paar großen Achsen ansetzen: 1. Personalisierung der Therapie, 2. Kosteneinsparung und Effizienz, 3. eine datenbasierte Gesundheitsversorgung und 4. Prävention.
2. Wie genau kann die KI in diesen Bereich eingesetzt werden?
Bei der Personalisierung könnte eine KI die Medikation und Diagnostik besser auf das Individuum abstimmen, statt Standardtherapien zu verwenden. Unter dem Stichwort „Precision Medicine“ kann der Patient ein genau auf sich und seine Omics personalisiertes und dosiertes Medikament bekommen. Bezüglich der Kosteneinsparung und Effizienz können unter anderem die administrativen Aufgaben der Heilberufe im Medizinsektor automatisiert werden. Zum Stichwort „datenbasierte Gesundheitsversorgung“ kann die Künstliche Intelligenz Daten auswerten und etwa Ministerien und Ämtern helfen, ihre Entscheidungen auf Basis dieser Daten zu treffen; Unterversorgungen werden schneller erkannt und Maßnahmen wie Impfkampagnen können zielgenauer sein und besser ausgewertet werden. Im Bereich der Prävention kann KI beispielsweise auch die Daten verwenden, die die Menschen etwa mithilfe von Apps und anderer Sensorik in ihrem Alltag schon nutzen und so frühzeitig warnen und beispielsweise im Alltag chronisch Erkrankter unterstützen können.
3. Welche Chancen, aber auch Risiken, von KI sehen Sie in Bezug auf die Gesundheitsversorgung?
Für mich überwiegen die Chancen klar die Risiken. Die größte Chance sehe ich darin, dass wir eine bessere Gesundheitsversorgung unter hohem Kostendruck hinbekommen. Unser Ziel ist es ja Patientinnen immer besser zu versorgen und da kann KI helfen. Bei Seltenen Krankheiten etwa kann KI Ärzten dabei helfen, schneller zu einer Diagnose zu kommen und beispielsweise den Ärzten Vorschläge machen oder wissenschaftliche Paper mit neusten Therapieansätzen ausspielen auf die sie sonst vielleicht nicht stoßen würden. Für eine Einzelperson ist es ja kaum möglich an allen Fortschritten gleichermaßen dranzubleiben. Eine weitere Chance ist die Möglichkeit, auch Patientinnen, die bislang keinen oder eingeschränkten Zugang zur Gesundheitsvorsorge haben, eine Prävention oder Diagnosestellung zu ermöglichen. Beispielsweise indem bei der Mammografie ein KI-System die Scans bewertet. Damit kann man die Fachkräftelücke in unterversorgten Regionen schließen und Kosten sparen. Denn in vielen Ländern wird ein solches Screening nicht von der Krankenkasse bezahlt. Ein Risiko bleibt, dass es sich hier um sensible Daten handelt. Wir sollten verhindern, dass Menschen aufgrund ihrer Gesundheitsdaten diskriminiert werden – etwa von Versicherungen. Hier müssen wir gemeinsam sinnvoll regeln, für welche Use-Cases die Daten verwendet werden.
4. Wie sieht nach Ihrer Einschätzung der Beitrag der Start-ups für das KI-Ökosystem in Berlin-Brandenburg aus?
Grundsätzlich hat Berlin mit den herausragenden Kliniken und den Universitäten einen Standortvorteil im Health Care-Bereich. Und es gibt viele gute Start-ups, die mit KI arbeiten: beispielsweise im Bereich Brustkrebs oder zum Thema Fruchtbarkeit. Aber das große Problem für diese Start-ups – und das gilt deutschlandweit – ist, dass hierzulande nur ein Bruchteil der Gesundheitsdaten digitalisiert sind. Viele Gründer gehen dann in die USA, weil dort 90 Prozent der Health Care-Daten digitalisiert sind. Auch das Mindset ist hierzulande ein Problem – häufig wird der Datenschutzüber alles andere gestellt, aber neben dem Recht an den Daten gibt es ja auch ein Recht auf Leben. Die wenigsten wissen, dass meisten Applikationen sind mit dem Datenschutz gut vereinbar, haben aber dennoch Angst davor etwas falsch zu machen. Diese Angst lähmt die Innovationskraft auf dem Gebiet enorm.
5. KI und deren Anwendung ist für viele Unternehmen noch ein neues Feld. Welche Wege sich zu informieren und mit dem Thema vertraut zu machen, würden Sie Unternehmen und deren Mitarbeitenden empfehlen?
Das Unternehmen sollte sich genau überlegen, was das Ziel ist, beziehungsweise was man mit der Technologie erreichen will. Die Unternehmensführung sollte dann auch Zeit investieren, sich in das Thema einzuarbeiten und den Mitarbeitern erklären können, warum und wie die KI eingesetzt werden kann. Ebenfalls wichtig: Auch mal Sachen und Wissen einkaufen. Man kann Es gibt viele gute Unternehmen, die helfen können. Für einen Erst-Kontakt ist etwa unser Merantix AICampus mit über 60 Unternehmen, Instituten und Investoren eine gute Anlaufstelle. Wir veranstalten unter anderem Webinare und Workshops etc. Einfach mal vorbeikommen!
Weiterführende Links:
- https://www.merantix.com/
- https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2022/12/20221209-grundungskommission-stellt-erste-ideen-fur-das-dateninstitut-auf-dem-digital-gipfel-vor.html