Interview: Dr. Jens Schick, Vorstandsmitglied der Sana Kliniken
Herr Dr. Schick, was macht die Region in Bezug auf die gesundheitliche Versorgung besonders?
Wenn man das Gesundheitssystem und auch insgesamt die Gesundheitsversorgung beobachtet, führt in Deutschland kein Weg an Berlin vorbei. Dort befinden sich die bedeutendsten Institutionen: die Ministerien, die Kassenvertreter, die Spitzenverbände. Hinzu kommt eine herausragende Versorgungslandschaft: Die Charité ist die mit Abstand größte Uniklinik Deutschlands, wir haben ein breites Spektrum an Maximalversorgern, Schwerpunkthäusern und eine sehr gute Basisversorgung. Im Gegensatz dazu gibt es in Brandenburg deutliche Unterschiede in der Flächenversorgung. Während es im Speckgürtel um Berlin noch gut aussieht, wird es dahinter immer schwieriger, Ärzte und Pflegekräfte zu finden. Brandenburg zeichnet sich aber durch den historisch gewachsenen Schwerpunkt auf die Versorgung in der Reha aus – und das ist auch ein hohes Gut. So lassen sich aus der Kombination der ländlichen Struktur Brandenburgs, der Metropolstruktur Berlins, dem Zusammentreffen der Interessenvertreter und dem hohen medizinischen Niveau neue Ansätze und Innovationen in der sektorenübergreifenden Versorgung vorantreiben.
Was sind die größten Herausforderungen, um eine möglichst gleichwertige Versorgung in Metropole und Fläche sicherzustellen?
Dem Fachkräftemangel begegnen und somit die Versorgung dauerhaft sicherstellen. Das ist die größte Herausforderung – für beide Bundesländer. Da ist auch mittlerweile egal, ob es um Ärzte, Pflegepersonal oder sonstige Berufsbilder geht. Wir brauchen als Träger Ideen: Wie kann ich attraktive, sichere Arbeitsplätze und Perspektiven für die Mitarbeiter schaffen? Wenn man auf die Flächenregionen in Brandenburg schaut, wird es dort mit Sicherheit andere Versorgungsformen geben müssen. In vielen Fächern ist die ambulante Versorgung auf dem Rückzug, einige Sitze können gar nicht mehr besetzt werden. Die Krankenhäuser rücken hier immer stärker in den Fokus der Versorgung. Das sieht in Berlin anders aus. In Zukunft wird es klare Strukturentscheidungen geben müssen: Wie kann ich wo noch welche Versorgung gestalten – und mit welcher Erreichbarkeit?
Das KV RegioMed Zentrum der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg am Sana Klinikum in Templin leistet Pionierarbeit beim Schaffen neuer Versorgungsstrukturen. Welches sind die Eckpfeiler dieses Vorhabens?
Das ist ein richtig tolles Projekt. Es ist 2014 mit der Idee gestartet, die ambulante und stationäre Medizin zu vernetzen – in neuen Strukturen zu denken. Die Bevölkerung in der Region wird immer älter und es gibt immer weniger Menschen dort. Bis 2030 wird die Bevölkerung um ein Fünftel abnehmen – und die Anzahl der Über-65-Jährigen um 44,6 Prozent steigen. Die nächsten stationären Angebote sind oft bis zu 60 Autominuten entfernt, ambulant wird es immer schwieriger, die Praxen zu besetzen. Im KV RegioMed Zentrum arbeiten Hausärzte mit stationären Geriatern, speziell weitergebildeten Fachkrankenschwestern und Therapeuten eng zusammen, um ältere Patienten zu versorgen und für sie individuelle Therapiepläne zu erstellen. Der Schwerpunkt liegt auf der Aktivierung und Mobilisierung älterer Menschen in der Region Templin. Zusätzlich gibt es einen Fahrdienst für Patienten. Das Ziel ist, den Patienten möglichst lange ein eigenständiges Leben zu ermöglichen.
Wie ist der aktuelle Stand?
In den vergangenen zwei Jahren hat sich das Projekt etabliert, die Nachfrage seitens der Patienten steigt ständig. Gemeinsam mit der aus der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (KVBB), AOK Nordost und BARMER GEK bestehenden Arbeitsgemeinschaft „Innovative Gesundheitsversorgung in Brandenburg“ (IGiB) wollen wir das Projekt am Sana Krankenhaus Templin weiterentwickeln: Vom Schwerpunkt Altersmedizin hin zu einem ambulant-stationären Zentrum als Anlaufstelle für alle medizinischen Fragen. Auch die Notfallversorgung soll verbessert werden. Es gibt zudem eine Koordinierungs- und Beratungsstelle für Patienten, die bei der Terminfindung und beim Case-Management unterstützt, sodass der Patient eine Rundum-Betreuung bekommt. Es wird eine elektronische Patientenakte geben und wir wollen telemedizinische Angebote mit Video-Konsultationen schaffen. Gerade wurde hierfür eine Finanzierung durch den vom Gemeinsamen Bundesausschuss verwalteten Innovationsfonds über 14,5 Millionen Euro bewilligt. Das KV RegioMed Zentrum wird ein echtes Aushängeschild für die Region Berlin-Brandenburg.
Inwieweit spielt bei einer innovativen Versorgung der Gesundheitsregion Berlin-Brandenburg auch das Thema Digital Health eine Rolle?
Die Digitalisierung steckt im Gesundheitswesen noch in den Kinderschuhen. Sie wird jedoch eine entscheidende Rolle in der Zukunft spielen, denn der Spagat zwischen Spitzenmedizin in Berlin und der Flächenversorgung in Teilen von Brandenburg geht immer weiter auf. Bei der Überbrückung von Entfernungen und personellen Engpässen ist digitale Unterstützung sehr wichtig. Es geht künftig nicht mehr so sehr darum, wie der Patient zum Arzt kommt oder der Arzt zum Patient, sondern wie der Patient für seine individuelle Situation die bestmögliche Behandlung bekommt. In der Telemedizin, Radiologie und Neurologie arbeiten wir schon jetzt mit digitaler Unterstützung. Wir werden auch in weiteren Disziplinen prüfen, wie wir dadurch Versorgung sicherstellen können. Es wäre eine Illusion zu glauben, nur weil da jetzt ein Projekt stattfindet, haben wir künftig in der Uckermark wieder ausreichend Fachärzte und Krankenschwestern. Es geht nicht ohne Technik.
Welche Bedeutung haben hier Projekte wie das digitale Gesundheitsnetzwerk, das die Sana Kliniken AG mit der AOK Nordost und Vivantes derzeit aufbaut, um einen schnelleren Informationsfluss zwischen Patienten, Krankenhäusern, Ärzten und Krankenkassen zu ermöglichen?
Wir erhalten dadurch eine neue Transparenz und weniger Brüche in der Dokumentation. Das digitale Gesundheitsnetzwerk stellt Daten jedem zur Verfügung, der an der Behandlung beteiligt ist – immer unter der Voraussetzung, dass der Patient dem zustimmt. Hierzu ist ein Fokus auf die Diagnosequalität und den Behandlungsansatz nötig – und die Garantie, dass auch dieser optimal umgesetzt wird. Es gibt auch Widerstände, aber man muss dabei immer das Ziel vor Augen haben. Schaut man sich andere Länder an, wird schnell klar, dass die Entwicklung hin zu Digital Health nicht mehr abwendbar ist. Deswegen haben wir uns mit der AOK Nordost und Vivantes zusammengetan, um neue Strukturen in einem geschützten Raum zu erproben und sie dann für andere zu öffnen. Wir werden durch die Digitalisierung die Versorgung verbessern, davon bin ich fest überzeugt.