Interview: Clemens Kaiser, Vorsitzender der Geschäftsführung Sanofi-Aventis Deutschland GmbH
Seit mehr als 30 Jahren arbeitet Clemens Kaiser in der Pharmabranche. Nach seinem Start beim Bayer-Konzern in Leverkusen folgten Auslandsstationen in Südostasien, Südafrika und Kanada. Kaiser war unter anderem Executive Vice President und Mitglied des Pharma Executive Committee der Bayer AG, Gründungs-Chairman der Bayer Healthcare China und President Global eBusiness der Bayer AG in Leverkusen. 2002 wechselte er für rund fünf Jahre als CEO zum Bayer-GE-Automobil-Technologie-Joint Venture Exatec LLC in Detroit. Nach kurzem Aufenthalt beim kanadischen Biotech-Unternehmen Isotechnika ging er Mitte 2009 als Leiter des globalen Kontrastmittelgeschäfts zu GE Healthcare nach London. Im Juli 2014 kam Kaiser als Senior Vice President Biologics zu Sanofi in Paris. Seit September 2016 ist er Vorsitzender der Geschäftsführung von Sanofi in Deutschland. In dieser Funktion verantwortet er die Bereiche Generika und Etablierte Produkte (EP) sowie das General Medicines-Geschäft in Österreich und der Schweiz. Im Interview spricht der Wahlberliner über aktuelle Projekte und verrät das Erfolgsgeheimnis von Rennfahrer Nico Rosberg.
Herr Kaiser, auf welchen Indikationsfeldern und Produkten hat Sanofi derzeit seinen Schwerpunkt?
Natürlich ist Diabetes – auch, was den Standort Deutschland anbelangt – immer noch der wichtigste Bereich für uns. Da sind wir Weltmarktführer. Ein sehr fortschrittliches Projekt ist unser Joint Venture Onduo mit Google. Dabei geht es nicht um ein pharmazeutisches Produkt, sondern darum, die Therapieoptionen für Diabetes-Patienten zu erweitern. Ein Aspekt ist etwa die Art und Weise, wie man Insulin verabreicht – statt mit einer Spritze über netzwerk- und datengesteuerte Pumpen. Wir forschen zudem an neuen biotechnologischen Produkten. Als nächstes werden wir zwei neue monoklonale Antikörper in Deutschland einführen: eines zur Therapie der rheumatoiden Arthritis und eines zur Behandlung der atopischen Dermatitis. Letzteres hat bei der FDA einen sogenannten Break-Through-Status, weil es im diesem Bereich bei Erwachsenen bisher keine zufriedenstellenden Behandlungsmöglichkeiten gibt. In der Krebstherapie entwickeln wir bi- oder tri-spezifische Produkte – also Antikörper, die auf zwei oder gar drei Ziele gehen.
Wie wichtig ist die Digitalisierung für Ihre Forschung?
Sie ist ein Werkzeug, um mehr zu lernen und bessere Therapieergebnisse zu erzielen. Die Erhebung und Auswertung von Daten zieht sich durch die gesamte Wertschöpfungskette: Forschung, Entwicklung, Produktion. Klinische Studien werden heute anders organisiert, auch die Therapie verändert sich, wird personalisierter. Ich bin ein Rennsportfan. Nico Rosberg wäre ohne Telematik nie Weltmeister geworden – wenn man ihm nicht gesagt hätte, wo er zu früh oder zu spät bremst. Genauso ist es bei Patienten. Wenn man ihnen ganz individuelle Anleitungen geben kann, wie sie ihr Verhalten anpassen können, sind sie vielleicht bald gar keine Patienten mehr. Auch in der Medizin wird Feedback immer wichtiger.
Vor welchen strategischen Herausforderungen steht die Pharmaindustrie?
Wir müssen diese neuen Methoden, Technologien und Strömungen adaptieren, inhalieren und integrieren. Wir sind traditionell eine sehr regulierte Industrie. Bis die entsprechenden Behörden Entscheidungen über neue Technologien getroffen haben, vergeht oft kostbare Zeit. In vielen Fällen müssen wir daher parallel fahren: das Konservative und das Neue. Inzwischen haben aber auch die Regulierungsbehörden verstanden, dass beispielsweise digitale Patientenakten wichtig sind. Erstmal müssen wir herausfinden, was nützlich ist. Anschließend müssen wir definieren, was wir damit machen wollen und wie es unseren Patienten hilft. Und dann müssen wir entscheiden, wie wir das implementieren. Das ist durchaus eine technologische Revolution, die gerade stattfindet.
Mit mehr als 130 Krankenhäusern und der Charité als Europas größter Universitätsklinik verfügt die Region Berlin-Brandenburg über eine ausgeprägte Kliniklandschaft mit einem enorm großen Patientenkollektiv. Sanofi steuert von Berlin aus sein Marketing- und Vertriebsgeschäft. Was zeichnet aus Ihrer Sicht den Standort Berlin aus?
Berlin ist eine innovative, offene, internationale Stadt. Besonders letzteres ist für uns sehr wichtig, denn das verschafft uns Zugang zu Talenten. Was hier an neuen Unternehmen versucht wird, ist gewaltig. Die jungen Leute kommen gerne nach Berlin, weil sie hier viele Gleichgesinnte finden, das Leben gut und die Stadt historisch wichtig ist. Das gilt im Übrigen auch für mich selbst. Als ich Berlin 1984 verließ, stand am Potsdamer Platz, wo jetzt mein Büro ist, die Mauer. Die Stadt und das Land haben seit der Wende viel hinzugewonnen. Wir unterstützen Wissenschaft und engagieren uns bei verschiedenen Kongressen, um Berlin als wissenschaftliche Metropole attraktiv zu machen. So haben wir etwa mit der Charité – erst in der Schlaganfallforschung, dann mit der Diabetes-Allianz – innovative Kooperationen. Dabei haben die Forscher von Anfang an teil an den Ergebnissen und Erfolgen. Wir wollen die Barrieren zwischen Akademie und Industrie abbauen. Das zeigt auch unsere Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut in Gießen. Die Mitarbeiter haben Zugang zu unserer Substanz-Bibliothek in der Antibiotikaforschung – das ist sowas wie das Tafelsilber. Wird dort etwas entwickelt, was außerhalb der Humanmedizin nützt, kann Fraunhofer das ökonomisch verwerten.
Gibt es Start-ups, die für Sie besonders interessant sind?
Viele Start-ups wissen gar nicht, dass sie für den Gesundheitsbereich von Nutzen sein könnten. Daher muss man Möglichkeiten schaffen, sich gegenseitig auszutauschen. Wir fördern Plattformen, die Start-ups etwa mit Wettbewerben unterstützen – sind zum Beispiel Sponsor beim „StartUpBootcamp digital Health“. Ich bin häufiger in der Factory Berlin oder im Cube, um mir Inspiration zu holen. Das kann ich nur jedem empfehlen. Mit Unternehmen wie BioNTech, Evotec, Apeiron Biologics, MAB Discovery oder Curevac arbeiten wir bereits erfolgreich zusammen. Wir sind grundsätzlich offen für Kooperationen und haben ein Ohr für neue Ideen.