GIGANT MIT KERAMIK-HERZ
Das erste NMR-Spektrometer sollte in den Keller, erzählt Peter Schmieder. Doch Magnete dieser Größenordnung haben ein sehr starkes Magnetfeld, und man hätte schlecht das Erdgeschoss räumen können, damit niemand im Bereich des Feldes arbeiten muss. „Also haben wir ein eigenes Haus für das Spektrometer gebaut. Später fanden darin weitere Geräte Platz, und bald kam ein zweites Haus hinzu“, berichtet der Leiter der NMR-Technologieplattform.
Inzwischen gibt es auch im zweiten Haus keinen Platz mehr, und für das neue NMR-Spektrometer musste ein drittes gebaut werden. Das Gerät ist das elfte seiner Art, seitdem 1995 die ersten Forschenden am FMP begannen, Untersuchungen mittels Kernspinresonanz- bzw. NMR-Spektroskopie zu machen. Peter Schmieder war von Anfang an dabei. Er hat den Aufbau jedes der Geräte begleitet, die auch noch alle in Betrieb sind.
Das neue Gerät ist etwas Besonderes, denn darin kommt erstmalig eine Technologie zum Einsatz, deren Entdeckung 1987 mit dem Physik-Nobelpreis gewürdigt wurde: der Hochtemperatursupraleiter. „Hochtemperatur heißt, das Material entwickelt bereits bei einer Temperatur von über minus 200 Grad Celsius supraleitende Eigenschaften“, erklärt Peter Schmieder. In diesem Zustand ist das Innere des Magnets frei von elektrischem Widerstand und stellt nach dem Laden ein stabiles Feld bereit, ohne weitere Stromzufuhr über viele Jahre (persistenter Magnet): Der älteste Magnet am FMP, noch mit konventionellen Supraleitern, hält sein Feld bereits seit einem Vierteljahrhundert. Das ermöglicht hochpräzise Analysen immer komplexerer biologischer Systeme, etwa Proteinstrukturen. „Die Güte der Messung, das heißt ihre Empfindlichkeit und die Auflösung in den Spektren, hängt ab von der Feldstärke des Magnets – je stärker, umso besser“, sagt Peter Schmieder.
Der im neuen Gerät verbaute Magnet erreicht mit 28 Tesla das aktuell größtmögliche stabile Magnetfeld, was einer Resonanzfrequenz von 1,2 Gigahertz (GHz) und damit einer 20 Prozent höheren Resonanzfrequenz als jener entspricht, die mit konventionellen Supraleitern erreichbar wäre. Das liegt am verwendeten Material: Der innerste Teil der Spule wurde mit keramischen Supraleitern gefertigt, eine knifflige Aufgabe, denn das Material ist brüchiger als Metall. An dieser Entwicklung knobelte der Hersteller mehr als ein Jahrzehnt. Die Arbeitstemperatur der neuen Supraleiter liegt allerdings weiterhin bei -271 °C, damit das Material das starke Magnetfeld trägt. Das neue NMR-Gerät auf dem Campus Buch ist eines von nur zehn, die bislang weltweit in Betrieb genommen wurden.
Das 28-Tesla-Feld ist eine Million Mal stärker ist als das der Erde. Da die Magnete in den NMR-Geräten abgeschirmt sind und die erzeugten Magnetfelder statisch und nicht fluktuierend, machen sie bei gesunden Menschen ohne Herzschrittmacher keine Probleme. Mobiltelefone und Uhren lassen Peter Schmieder und sein Team allerdings vor der Tür, bevor sie einen der Räume mit den NMR-Spektrometern betreten.
Der Aufbau des neuen NMR-Geräts ist inzwischen abgeschlossen. Dabei wurde der 8 Tonnen schwere Magnet auf einem Druckluftkissen ins Haus geschoben und senkrecht aufgestellt. Nach Fertigstellung des Aufbaus musste er abgekühlt werden. „Das allein hat drei Wochen gedauert. Man macht das sehr langsam, damit keine mechanischen Spannungen in der Spule entstehen“, berichtet Peter Schmieder. Wenn die Spule eine Temperatur von zwei Kelvin (-271,15 Grad Celsius bzw. zwei Grad Celsius über dem absoluten Nullpunkt) erreicht hat, wird der Magnet aufgeladen. Das ist der knifflige Teil: Geht dabei etwas schief, verliert die Spule die Supraleitung, das Kühlmittel Helium erwärmt sich und verdampft in die Atmosphäre, und der gesamte – teure und langwierige – Prozess muss neu gestartet werden. „Es lief aber alles nach Plan, der Magnet ist auf Feld, hat also sein Feld von 28 Tesla erreicht“, freut sich Peter Schmieder. Danach wurde die Hardware getestet und geprüft, ob die Spezifikationen des Geräts hinsichtlich Elektronik und Messvorrichtungen erreicht werden.
Seit Ende Mai läuft der Testbetrieb mit ersten wissenschaftlichen Messungen. „Das Hauptproblem bei der Protein-NMR-Spektroskopie ist, dass man viele Signale erhält, die sich nur wenig voneinander unterscheiden. Deswegen ist eine so hohe Auflösung so wichtig“, sagt Peter Schmieder. Außerdem eignet sich diese Technologie besonders gut, um die Beweglichkeit von Eiweißen zu bestimmen. Der Versuchsaufbau für Messungen in Lösungen oder in Festkörpern ist unterschiedlich, weswegen die alten NMR-Geräte des FMP für jeweils eine Messweise dienen – aktuell fünf für Festkörper- und fünf für Messungen in Lösungen. Das neue Gerät hingegen soll für beide Messarten eingesetzt werden. So ist die Möglichkeit gegeben, möglichst vielfältige Untersuchungen mit dem neuen State-of-the-Art-Magneten durchzuführen. Hauptnutzer des neuen Geräts werden die am FMP arbeitenden NMR-Gruppen sein: In der Arbeitsgruppe von Adam Lange werden mittels Festkörper-NMR die Struktur und Dynamik pharmakologisch relevanter Membranproteine untersucht, die Gruppe von Sigrid Milles verwendet Lösungs-NMR, um intrinsisch ungefaltete Proteine (IDPs) zu charakterisieren. Die Gruppe von Han Sun verwendet anisotropische NMR, um die Struktur und Stereochemie von kleinen Molekülen und Peptiden zu bestimmen, während in der Gruppe von Hartmut Oschkinat Biofilmproteine mit Lösungs- und Festkörper-NMR charakterisiert werden.