Feinschliff für die Genschere
Die Hoffnungen, die in die Genschere CRISPR-Cas9 gesetzt werden, sind groß. Denn mit dem molekularen Skalpell lassen sich krankhaft veränderte Gene, die zum Beispiel zu Erbleiden führen, punktgenau herausschneiden und reparieren. Doch so präzise das Werkzeug sein Ziel auf der DNA in der Regel auch findet: Völlig fehlerfrei arbeitet es bislang nicht.
Mitunter setzt die Genschere ihren Schnitt auch an Stellen des Erbgutfadens, die der eigentlichen Zielsequenz sehr ähnlich sind, aber ganz woanders liegen. Forschende sprechen dann von Off-Target-Mutationen, die ungeahnte Konsequenzen haben können. Doch selbst wenn CRISPR-Cas9 an der richtigen Stelle schneidet, kann es bei der Reparatur des Schnitts zu Fehlern kommen, den On-Target-Mutationen.
Zwei Schnitte mit Abstand
„Solche Fehler entstehen vor allem deshalb, weil die klassische Genschere beide Stränge, aus denen das DNA-Molekül besteht, auf einmal durchschneidet“, erklärt Professor Klaus Rajewsky, der Leiter der Arbeitsgruppe „Immunregulation und Krebs“ am Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC). Gemeinsam mit weiteren Forschenden des MDC und der Humboldt-Universität zu Berlin hat der Wissenschaftler jetzt in der Fachzeitschrift „Science Advances“ eine verfeinerte Methode namens Spacer-Nick vorgestellt. Dabei schneidet eine modifizierte Genschere, Nickase genannt, die gegenüberliegenden Stränge der DNA an verschiedenen Stellen jeweils einzeln durch.
Entscheidend für die größere Präzision, mit der die Doppelschere fehlerhafte Gene aufspürt und repariert, ist eine Art Abstandshalter, Spacer genannt, den das Team in sein Werkzeug eingebaut hat. „Mit ihm stellen wir sicher, dass die beiden Schnitte in einem Abstand von 200 bis 350 Basenpaaren gesetzt und Doppelstrangbrüche der DNA vermieden werden“, erläutert Dr. Van Trung Chu aus Rajewskys Arbeitsgruppe. Die beiden Forscher sind gemeinsame Letztautoren der Studie. „Diese Länge hat sich in unseren Experimenten mit blutbildenden Stammzellen und T-Zellen als optimale Distanz erwiesen, um On- und Off-Target-Mutationen zu reduzieren“, sagt Chu. „Ist sie kürzer, kann es nämlich trotz der Verwendung zweier getrennter Scheren passieren, dass der DNA-Strang letztendlich komplett durchschnitten wird.“
Beim Aufspüren von Off-Target-Mutationen haben zwei weitere MDC-Teams einen wichtigen Beitrag zu der Publikation geleistet: zum einen die Arbeitsgruppe „Krebs & Immunologie / Immunmechanismen und humane Antikörper“ von Professorin Kathrin de la Rosa, zum anderen die Arbeitsgruppe „Genom-Editierung & Krankheitsmodelle“ von Dr. Ralf Kühn, der Dr. Van Trung Chu ebenfalls angehört. „Spacer-Nick ist somit auch ein gutes Beispiel für die erfolgreiche Zusammenarbeit von Forschenden verschiedener Gruppen am MDC“, sagt Rajewsky.
Fast fehlerfrei und effektiv
Die Überlegenheit ihrer feingeschliffenen Genschere und des versetzten Schnitts können die Wissenschaftler*innen sogar beziffern: „Der Anteil an On-Target-Mutationen liegt mit der klassischen CRISPR-Cas9-Methode bei mehr als 40 Prozent“, berichtet Chu. „Spacer-Nick kann diese Rate auf weniger als zwei Prozent senken.“ Nicht ganz so leicht exakt zu ermitteln sei der Erfolg bei den Off-Target-Mutationen, sagt Chu. „Zu ihnen können wir eigentlich nur sagen, dass sie beim Einsatz der gewöhnlichen Genschere relativ oft vorkommen, während sie bei unserem Ansatz kaum oder gar nicht auftraten.“ Unklar ist bislang der genaue Mechanismus, über den das Erbgut nach den Schnitten von Spacer-Nick repariert wird. „Es handelt sich jedenfalls anscheinend nicht um den bekannten – und fehleranfälligen – NHEJ-Signalweg“, erklärt Chu.
Im Hinblick auf die Effektivität kann Spacer-Nick mit dem herkömmlichen Verfahren mithalten. „Bei beiden Methoden können wir zwischen 20 und 50 Prozent der behandelten Zellen erfolgreich reparieren“, sagt Chu. Das reiche vermutlich aus, um Patient*innen mit einer erblichen Bluterkrankung, bei denen nur ein einzelnes Gen verändert sei, zu heilen. Beispiele für solche Blutleiden sind die Beta-Thalassämie, bei der der rote Blutfarbstoff Hämoglobin nicht richtig gebildet wird, oder die schwere kongenitale Neutropenie. Sie ist durch eine deutlich verminderte Zahl an Granulozyten – eine Form weißer Blutkörperchen – gekennzeichnet und geht mit einer stark geschwächten Immunabwehr einher.
Korrektur der Stammzellen
Chu und Rajewsky hoffen, dass andere Forscher*innen ihre Idee aufgreifen und Spacer-Nick zunächst im Tiermodell und dann bald an ersten Patient*innen testen werden. „Das Prinzip der Therapie ist einfach“, sagt Chu: Menschen mit einem monogenen Erbleiden werden nach etablierten Methoden blutbildende Stammzellen entnommen. In der Zellkultur repariert Spacer-Nick die fehlerhaften Gene. Sobald die Genschere ihre Arbeit getan hat, werden die reparierten Stammzellen den Patient*innen wieder verabreicht. Aus ihnen gehen dann neue und vor allem gesunde Blutzellen hervor.