Energiesparen im Labor

Das Fachgebiet Angewandte Biochemie lässt sich als erstes an der TU Berlin als grünes Labor zertifizieren. Ein Rundgang mit konkreten Tipps zum sofortigen Umsetzen.

Prof. Dr. Jens Kurreck wurde bereits in der ersten Klasse zum Aktivisten. Der Berliner Teltowkanal sollte begradigt werden – und Nistplätze von Eisvögeln waren in Gefahr. „Zusammen mit zwei, drei anderen Erstklässler*innen habe ich immerhin 50 Pfennige für Protestaktionen eingesammelt“, erzählt er und grinst. Der Teltowkanal wurde dann doch begradigt, aber Kurrecks Engagement für die Umwelt blieb. Heute ist sein Fachgebiet Angewandte Biochemie das erste an der TU Berlin, das am Zertifizierungsprogramm „Green Lab“ teilnimmt. Herausgeberin dieser Zertifizierung ist die gemeinnützige Organisation My Green Lab in den USA. Sie wurde von den Vereinten Nationen in ihrer Kampagne „Race to Zero“ als eine der Hauptakteur*innen benannt für das Ziel, medizinisch-pharmazeutische Firmen und Labore bis 2050 klimaneutral zu machen.

 

Bronze-Medaille von My Green Lab ist erst der Anfang

„In der Ausgangsevaluation haben wir schon einen Bronze-Status erreicht, aber das ist nur die erste Runde“, sagt Kurreck, während er zusammen mit seinem Technischen Mitarbeiter Bernd Krostitz die Laborführung beginnt. My Green Lab wolle nämlich nicht nur Bestehendes auszeichnen, sondern in jedem Labor Änderungen anregen. „Dazu hat die Organisation tatsächlich alle Labormitarbeiter*innen anonym mit einem Online-Fragebogen befragt, die Ergebnisse zusammengefasst und daraus Vorschläge abgeleitet.“ Kurreck wedelt mit einem größeren Stapel Papier.

 

Was waren wir für Umweltsünder*innen

„Das Schlimme ist, das ist alles keine Raketenwissenschaft. Und trotzdem kommt man auf viele Einsparmöglichkeiten erstmal nicht. Hinterher denkt man sich dann, was waren wir für Umweltsünder*innen“, sagt Krostitz und stoppt an einer Reihe von Kühl- und Gefrierschränken. Als er einen von ihnen öffnet, ist der erste Gedanke: Den müsste man einfach mal abtauen! Scheinbar völlig eisverkrustet lagern dort Pappschachteln und Plastikdosen. Krostitz nimmt eine und bläst – hauchfeiner Schnee weht davon. „Das ist kein Wassereis, sondern aus der Luft ausgefrorenes Kohlendioxid“, erklärt er. Der Gefrierschrank arbeitet nämlich bei minus 80 Grad Celsius und beherbergt empfindliche Proben wie etwa Virenkulturen. Zwei Stück dieser Ultratiefkühler besitzt das Fachgebiet, zusammen machen sie ein Viertel seines gesamten Stromverbrauchs aus.

Erst eine Verbrauchsmessung sämtlicher Elektrogeräte hatte Krostitz und Kurreck auf die Fährte dieser energiefressenden Kühlgeräte gebracht. Zwei Einsparmöglichkeiten haben sie daraufhin identifiziert: Zum einen lässt sich für nicht so empfindliche Proben die Temperatur in einem der Schränke auf minus 70 Grad erhöhen. Das führt schon zu enormen Einsparungen, denn mit abnehmender Temperatur steigt der Stromverbrauch exponentiell an. „Die zweite Einsparmöglichkeit sollte in einem idealen Labor eigentlich gar nicht möglich sein“, sagt Kurreck. Sie laute schlicht „Aufräumen“. „Wenn Sie bei offener Tür minutenlang Proben suchen, geht viel Wärme auf den Inhalt über. Außerdem müssen Sie das wegen der kleinen Röhrchen mit bloßer Hand machen, bei minus 80 Grad auch kein Vergnügen.“

Freezer Challenges von My Green Lab

Das Aufräumen der Probenschränke war nicht trivial und hat einige Wochen gedauert, auch weil sich das Fachgebiet nun ein Klassifizierungs- und Ordnungssystem ausgedacht hat, um Wildwuchs bei der Archivierung in Zukunft zu vermeiden. Kurreck zeigt das Fotos eines Labortischs, der mit lauter Pappschachteln bedeckt ist: Hinterlassenschaften eines einzigen, längst beendeten Forschungsprojekts, die aus der Kälte geholt wurden. Auch My Green Lab hat das Problem erkannt und veranstaltet unter seinen Mitgliedern regelmäßig „Freezer Challenges“.

 

Die Hälfte gespart

Praktisch in jedem Laborraum, in den wir auf unserem Rundgang kommen, können Jens Kurreck und Bernd Krostitz über eingesparte Kilowattstunden (kWh) berichten. Der 20 Jahre alte Kühlschrank, der nominell 350 kWh pro Jahr verbrauchen sollte, es nachgemessen jetzt aber auf 700 kWh bringt – und nun durch ein modernes Gerät mit 90 kWh ersetzt wurde. Die Autoklaven im nächsten Raum: große, waschmaschinenartige Geräte, die bei 134 Grad Celsius und zwei Bar Überdruck biologischen Abfall unschädlich machen. In diese wurde der Abfall bisher dann geworfen, wenn er anfiel, und die Maschine auch gleich angestellt. Jetzt wird der Abfall gesammelt, bis ein Autoklav ganz gefüllt werden kann. Nach mehr als einem Monat mit der neuen Regelung zeigte sich, dass so die Hälfte der Läufe gespart werden kann. Bei einem Verbrauch von etwa 5.000 kWh Strom pro Jahr ein nicht unerheblicher Anteil am Gesamtverbrauch des Fachgebiets von 70.000 kWh.

 

Einsparpotential: der Jahresverbrauch eines Vier-Personen-Haushalts

Auch die sterilen Werkbänke mit Kontaminationsschutz (Cleanbench) haben einen hohen Verbrauch, pro Gerät etwa 1.000 kWh pro Jahr, bei sechs Geräten am Fachgebiet also rund 6.000 kWh pro Jahr – und im ganzen Haus auf dem Campus Wedding der TU Berlin gibt es knapp 50 Werkbänke. Ein kontinuierlicher Luftstrom sorgt hier für eine unsichtbare Wand vor der eigentlichen Arbeitsfläche, durch die Keime weder hinaus- noch hineinkönnen. „Schaltet man die Bench bei Nichtbenutzung in den Standby-Modus, verbraucht sie nur ein Zehntel des Stroms. Bei mehrstündigen Unterbrechungen kann man sie auch ganz ausschalten“, erklärt Bernd Krostitz. Auf diese Weise könne man rund ein Drittel des Strombedarfs der Werkbänke einsparen, hat er ausgerechnet. Also etwa 2.000 kWh. „Das ist nur etwas weniger als der Jahresverbrauch meines Vier-Personen-Haushalts.“

 

Das zahlt halt einfach die Uni …

Im letzten Raum auf der Energiesparführung ist gerade eine Doktorandin dabei, Agarose-Gel in einem kleinen Glasbecher in der Mikrowelle zu verflüssigen. Man braucht es für die sogenannte Gelelektrophorese, dem Standardverfahren, mit dem heute DNA-Stücke aufgetrennt und damit identifiziert werden. Früher habe man dieses Agarose-Gel die ganze Zeit über in einem 60-Grad-Schrank flüssig gehalten, berichten Krostitz und Kurreck. Der Stromverbrauch dafür lag bei einem Drittel des Verbrauchs eines Vier-Personen-Haushalts, beziehungsweise mehr als 280 Euro Stromkosten im Jahr. „Das zahlt halt einfach die Uni und geht noch nicht einmal zu Lasten der Budgets der einzelnen Fachgebiete. Da muss man ehrlicherweise sagen, dass uns das bisher einfach nicht aufgefallen ist“, sagt Jens Kurreck. Auch das Umdenken sei nicht von heute auf morgen zu schaffen, ergänzt Bernd Krostitz und deutet auf die vielen Hinweisschilder an den „Abzügen“ im Labor. Sie mahnen dazu, das Schiebefenster vor diesen Arbeitsplätzen mit Luftabsaugung nach Gebrauch sofort wieder zu schließen – was die Leistung um zwei Drittel reduziert. „Ein bisschen Daumenschrauben, fünfmal erinnern, dann hat man aber auch ein Commitment von 95 Prozent.“

 

Nachahmung herzlich willkommen

 

Jens Kurreck und Bernd Krostitz wollen weitere Labore an der TU Berlin dazu ermuntern, sich der My Green Lab-Initiative anzuschließen. Für Rückfragen und Austausch stehen beide gerne zur Verfügung. Eine „Nachhaltigkeitsgruppe“ von sieben Leuten am Fachgebiet trifft sich einmal im Monat. Durch diese Schwarmintelligenz ist man auf viele Maßnahmen schon selbst gekommen, auch durch den Einsatz eines mobilen Stromverbrauchszählers. Einige Ratschläge von My Green Lab aber hatten die Forscher*innen noch nicht auf dem Schirm – etwa Verbrauchsmaterial gesammelt zu bestellen, um Verpackung und Transportenergie zu minimieren. Ohne großen Aufwand könne man in einem ersten Schritt bei der Beleuchtung anfangen und Leuchtstoffröhren an der Decke durch LED-Lampen am Arbeitsplatz ersetzen, rät Kurreck. Insgesamt ein Drittel der gesamten Stromkosten des Fachgebiets hofft er durch alle Maßnahmen einzusparen. Davon würden nicht nur die Umwelt und der Kampf gegen den Klimawandel profitieren, betont Kurreck: „Auch wenn sich das nicht auf den eigenen Etat auswirkt, hat man letztlich doch etwas davon. Denn wenn die Uni Geld spart, sichert das unsere Grundfinanzierung. Und es ist vielleicht mehr da für andere wichtige Dinge, etwa die Bausanierung.“