Ein molekularer Schalter bietet neue therapeutische Angriffspunkte gegen Krebs und Diabetes

Sind bestimmte Signalkaskaden im Körper fehlerhaft reguliert, können Krankheiten wie Krebs, Adipositas und Diabetes entstehen. Forscher vom Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) in Berlin sowie von der Universität Genf haben nun einen Mechanismus entdeckt, der diese Signalkaskaden entscheidend beeinflusst und damit ein wichtiger Schlüssel zur zukünftigen Entwicklung von Therapien für diese Erkrankungen sein kann. Die Ergebnisse der Studie sind soeben im prestigeträchtigen Fachmagazin „Molecular Cell“ erschienen.

 

Zellwachstum und -differenzierung, aber auch die Freisetzung und Wirkung von Hormonen wie Insulin hängen wesentlich von Lipiden ab. Lipide sind kleine fettähnliche Moleküle. Sie dienen als Bausteine zellumhüllender Membranen und auch als molekulare Schalter in Signalkaskaden. Solche Kaskaden sind entscheidend beteiligt an der Steuerung des Zellwachstums und der Zellteilung, aber auch an Differenzierungsprozessen wie der Angiogenese, also der Bildung neuer Blutgefäße. Sind Signalkaskaden gestört, können Krankheiten wie Krebs oder Stoffwechselstörungen wie Fettleibigkeit und Diabetes daraus resultieren. Gelingt es, Enzyme zu beeinflussen, die in Zellen Signallipide produzieren, kann dies als möglicher Ausgangspunkt zur Behandlung dieser Krankheiten fungieren.

Genau hier hat das Team um Prof. Dr. Volker Haucke vom FMP angesetzt: Langjährige Detailarbeit ermöglichte es der Gruppe, die Lipidkinase PI3KC2A zu exprimieren, zu reinigen und das Enzym schließlich im Detail zu untersuchen. Die PI3KC2A Kinase ist ein Enzym, das entscheidende Funktionen ausübt bei der Zellteilung, der Freisetzung von und Signalweiterleitung durch Insulin sowie bei der Bildung neuer Blutgefäße. Zusammen mit Dr. Oscar Vadas von der Universität Genf konnte das FMP-Team durch aufwändige strukturbiologische und zellbiologische Methoden zeigen, dass die PI3KC2A im Zytoplasma von Zellen zunächst in einer inaktiven, sich selbst hemmenden Form vorliegt. Signale von außen können die Kinase aktivieren, wenn diese  zur Zellmembran transportiert wird. Solche Signalkaskaden werden initiiert indem Proteinliganden wie Insulin oder Wachstumsfaktoren an Rezeptoren in der Zellmembran andocken. Durch das Andocken der Liganden an die Rezeptoren werden diese aktiviert und leiten Signale in das Innere der Zelle weiter. Während dieses Weiterleitungsprozesses stülpt sich die Zellmembran nach innen, und bildet Vesikel, welche die aktivierten membranständigen Rezeptoren in das Zytoplasma transportieren. Lipidkinasen wie die PI3KC2A sind an der Vesikelbildung und der Signalweiterleitung im Inneren der Zelle beteiligt.

Das Forscherteam konnte nun erstmals beobachten, wie PI3KC2A vom inaktiven in einen aktiven Zustand übergeht. „Die Kinase ist im inaktiven Zustand eingekugelt, etwa so, als hätte man beide Arme um die Knie geschlungen. Wenn zwei bestimmte Bausteine der Zellmembran zur gleichen Zeit am gleichen Ort sind, können sie die Kinase aktivieren – sie klappt sich auf und bindet mit ihren ‚Armen‘ an je einen der beiden Bausteine“, beschreibt Dr. Oscar Vadas diesen Mechanismus. Die Aktivierung führt dazu, dass die Kinase binnen Sekunden zahlreiche Signallipid-Moleküle herstellt. Diese wiederum steuern die Aufnahme aktivierter Signalrezeptoren in die Zelle (Bild) und regulieren so Prozesse wie Zellteilung und Differenzierung.

Die Befunde haben große Bedeutung für die Grundlagenforschung, denn das Team aus Berliner und Genfer Wissenschaftlern konnte erstmals zeigen, wie einer der zentralen zellulären Prozesse – die Aufnahme von Rezeptoren - molekular abläuft. Darüber hinaus stellen die Arbeiten einen wichtigen Schritt hin zur pharmakologischen Manipulation der PI3KC2A und verwandter Signallipid-produzierender Enzyme dar. „Wir halten erstmals einen Mechanismus in Händen, der es uns ermöglichen könnte, die Aktivität der Lipidkinase zu ändern. Dies kann uns möglicherweise einen direkten Angriffspunkt für Therapien bieten“, betont Prof. Dr. Volker Haucke. So könnten beispielsweise kleine Moleküle, welche die Aktivität der PI3KC2A blockieren, als Wirkstoffe für die Behandlung von Tumoren dienen, die in ihrem Wachstum maßgeblich von der Versorgung mit Nährstoffen und somit von der Bildung neuer Blutgefäße abhängen. Dieser Prozess sollte – das legen Studien an Mäusen nahe – zum Erliegen kommen, wenn die PI3KC2A Aktivität pharmakologisch gehemmt wird. Die Suche nach solchen Wirkstoffen haben die Berliner Forscher nun aufgenommen.

„Wir haben einen neuen, viel versprechenden Angriffspunkt gefunden und setzen nun alles daran dessen therapeutisches Potenzial auszuloten.“, verspricht Prof. Dr. Volker Haucke mit Blick auf die gestartete Wirkstoffsuche. Am FMP werden zwar keine Medikamente entwickelt, die Mission des Instituts ist es jedoch, richtungsweisende Grundlagen hierfür zu schaffen. „In diesem Fall gehen wir davon aus, das wir schon bald Kandidaten-Moleküle identifizieren könnten, die eines Tages klinischen Nutzen bringen“, so Haucke.