„Der gesunde Mensch“: Berlin Centre for the Biology of Health
Gemeinsame Pressemitteilung von Charité und FU Berlin
Krankheiten zuvorkommen. Mechanismen der Gesundheit verstehen. Menschen lange gesund erhalten. So soll eine Medizin der Zukunft aussehen. Spitzenforschende von Charité – Universitätsmedizin Berlin und Freier Universität Berlin wollen schon bald disziplinübergreifend an diesen gesellschaftlich drängenden Fragen arbeiten. Der Ort für die Zukunftsvision der Gesundheitsforschung: ein denkmalgeschützter Bau im Südwesten Berlins. Saniert und erneuert soll das einstige Institut für Hygiene und Mikrobiologie das Berlin Centre for the Biology of Health (BC-BH) beherbergen. Der Wissenschaftsrat des Bundes und der Länder hat heute den Antrag zum gemeinsamen Forschungsbau in Höhe von rund 54 Millionen Euro zur Förderung empfohlen*.
Es geht um nicht weniger als einen Paradigmenwechsel. Das gegenwärtige Konzept von Medizin wurde Ende des 18. Jahrhunderts vom Gelehrten und Mediziner Rudolf Virchow (1821-1902) entscheidend geprägt. Es basiert auf der Vorstellung, der Ursprung von Krankheiten liege in Störungen der normalen Funktionen der Zelle. Seither stehen Mechanismen, die Krankheiten verursachen, im Mittelpunkt der Medizin. Das Unterbrechen solcher krankheitsfördernden Signalnetzwerke als therapeutischer Zugang hat sich weithin als erfolgreich erwiesen.
„Dieser Konzeption von Medizin wohnt allerdings ein Paradoxon inne, nämlich, dass unser molekulares Verständnis von Gesundheit fast ausschließlich auf der Erforschung von Krankheiten beruht“, sagt der Grundlagenwissenschaftler Prof. Dr. Andreas Diefenbach, Direktor des Instituts für Mikrobiologie und Infektionsimmunologie der Charité. Gemeinsam mit der Klinikdirektorin für Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie der Charité Prof. Dr. Britta Siegmund und Forschungskolleg:innen der Freien Universität Berlin hat er den Antrag für einen gemeinsamen Forschungsbau, einen Ort des Austauschs und der Innovation von überregionaler Bedeutung, finanziert durch Bund und Land gemäß Artikel 91b des Grundgesetzes, auf den Weg gebracht. Statt der Erforschung von Krankheitsmechanismen sollen die Mechanismen der Gesundheit und molekulare Strategien der Gesunderhaltung im Mittelpunkt stehen.
Erforschen, was Menschen gesund erhält
„Wir befinden uns mitten in einem grundlegenden gesellschaftlichen und ökologischen Wandel, der eine neue Konzeption von Medizin benötigt“, so Prof. Diefenbach, der auch eine Einstein-Professur der gleichnamigen Stiftung innehat. „Eine älter werdende Bevölkerung, veränderte Lebensgewohnheiten und sich rapide verändernde Umweltbedingungen führen zu einer Zunahme von Krankheiten, die schon jetzt einen großen Teil der Krankheitslast in Europa ausmachen. Dazu gehören vor allem chronisch-entzündliche, rheumatologische und neurodegenerative Erkrankungen, aber auch Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.“ Ein Ausweg aus dieser Situation: neuartige Strategien in der Medizin, die molekulare Mechanismen der Gesunderhaltung nutzen und dem frühzeitigen Erkennen von Erkrankungen dienen.
Ein solches Umdenken in den Lebenswissenschaften vollzieht sich derzeit weltweit. Gesundheit wird zunehmend als ein Prozess betrachtet, der auf stets aktiven molekularen und zellulären Mechanismen beruht, sogenannten Hallmarks of Health. Diese gesundheitswahrenden Netzwerke unterscheiden sich grundlegend von jenen, die Krankheiten fördern. Sie stellen eine Gruppe kommunizierender Mechanismen dar, die die Widerstandsfähigkeit und Toleranz des Organismus gegenüber Krankheiten stärken und damit den Zustand Gesundheit stabilisieren.
„Genau diese gesundheitserhaltenden Mechanismen wollen wir für die Prävention und Therapie von Krankheiten zugänglich machen, damit Menschen eine möglichst lange gesunde Lebensspanne haben“, beschreibt Prof. Siegmund das Anliegen des BC-BH. Der gemeinsame und auf interdisziplinäres Arbeiten ausgerichtete Forschungsbau auf dem Charité Campus Benjamin Franklin soll dazu beitragen, solche Mechanismen ausfindig zu machen und deren Störung bei entzündlichen Systemerkrankungen langfristig zu erforschen. Hierzulande wie auch international ist dieses Herangehen bislang einzigartig.
Hochinteraktiver gemeinsamer Forschungsraum
Heute hat sich der Wissenschaftsrat, das wichtigste wissenschaftspolitische Beratungsgremium, für eine Förderung des Vorhabens ausgesprochen. Auf Basis dieser Empfehlung entscheidet im Frühsommer die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz des Bundes und der Länder (GWK) über eine Finanzierung des Forschungsbaus, dessen Kosten zur Hälfte vom Bund und vom Land Berlin getragen werden.
„In diesem wichtigen Forschungsbau werden Wissenschaftler:innen der Freien Universität und der Charité die molekularen Grundlagen und Mechanismen von Gesundheit erforschen. Es ist eine neue und visionäre Zielstellung, gesunde Körperfunktionen in den Mittelpunkt der Forschung zu stellen“, betont Ulrike Gote, Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung sowie Aufsichtsratsvorsitzende der Charité. „Dieser innovative Ansatz der Berliner Forscher:innen zeigt, in welcher internationalen Liga die Berliner Gesundheitsforschung spielt. Auch für die Krankenversorgung und damit für die Gesundheitsstadt Berlin ist das ein wichtiger neuer Blickwinkel. Daher freue ich mich, dass der Wissenschaftsrat einen weiteren Forschungsbau für Berlin zur Förderung empfohlen hat, diesmal angesiedelt auf dem Campus Benjamin Franklin der Charité und damit im Südwesten der Stadt. Besonders freue ich mich darüber, dass erstmalig im Forschungsbauförderprogramm auf einen Neubau verzichtet und ein denkmalgeschütztes Gebäude nachhaltig und klimaschutzgerecht saniert wird.“
Forschende von Charité und Freier Universität Berlin werden das BC-BH gemeinsam nutzen. Einziehen soll es in das Gebäude des einstigen Instituts für Hygiene und Mikrobiologie der Freien Universität, ein bedeutsamer und heute unter Denkmalschutz stehender Bau der Nachkriegsmoderne. Auf rund 3.170 Quadratmetern sollen nach Sanierung und Umbau Labor- und Denkflächen für etwa 150 Mitarbeitende und Wissenschaftler:innen, die 17 Arbeitsgruppen und acht Nachwuchsgruppen angehören, bereitstehen. Die bereits organisch angelegte Architektur und offene Laborstrukturen sollen dazu beitragen, die beteiligten Disziplinen zusammenzuführen und einen Austausch auf allen Ebenen zu ermöglichen.
Wissenschaftliche Fächer wie Klinische Medizin, Mikrobiologie, Immunologie, Biologie, Biochemie oder Biophysik kommen mit modernsten Technologien wie der Einzelzellanalyse oder der Metabolomik und mit analytischen Disziplinen wie Systembiologie, Bioinformatik, Modellierung und Maschinelles Lernen in dem Gebäude zusammen. „Wir setzen auf diesen hoch interaktiven Forschungsraum, denn das Zusammentreffen an den Schnittstellen der Disziplinen wird Synergieeffekte erzeugen, die völlig neue Erkenntnisse möglich machen“, sagt Günter M. Ziegler, Präsident der Freien Universität Berlin. „Wir freuen uns, dass der in den 70er Jahren konzipierte Forschungsbau erneut ein Ort modernster biomedizinischer Forschung werden kann.“
Internationale Spitzenforschung und Translation
In vier Forschungsschwerpunkten wollen sich die Wissenschaftler:innen von Charité und Freier Universität Berlin ab 2028 in den neuen Räumen dem Zustand der Gesundheit annähern. Zunächst gilt es, Mechanismen zu analysieren, die zu einer gelungenen Anpassung des Organismus an Veränderungen in der Umwelt führen. Dies ist klinisch hoch relevant, da die im Mittelpunkt stehenden Krankheitsbilder im wesentlichen Fehlanpassungen an eine sich in den letzten 150 Jahren rasch verändernde Umwelt darstellen. Ein weiterer Schwerpunkt widmet sich den Veränderungen in diesen Signalnetzwerken bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen. Aufbauend auf den Ergebnissen vorklinischer und klinischer Untersuchungen sollen erste innovative Präventions- und Therapieansätze erprobt werden, die auf der Stärkung gesundheitswahrender Mechanismen beruhen. Und schlussendlich werden Forschungsergebnisse nicht nur den Weg aus dem Labor zu den Menschen finden, sondern Daten aus der Anwendung, aus Therapieansprechen oder -versagen, wiederum Rückschlüsse auf Mechanismen der Gesundheit zulassen.
Das BC-BH ist ein wesentliches Projekt der Berliner University Alliance (BUA), dem Verbund der Freien Universität Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin, der Technischen Universität Berlin und der Charité, mit dem Ziel einer gemeinsamen Entwicklung der Wissenschaft in Berlin. Die unmittelbare Anbindung des BC-BH an die klinischen Einrichtungen am Campus Benjamin Franklin und an das biowissenschaftliche Umfeld im Berliner Süden sind ideal für die translationale Ausrichtung, also die Idee, Forschungsergebnisse zügig in die Krankenversorgung zu bringen und Beobachtungen von dort zurück ins Labor.
„Die geplante bauliche Infrastruktur und Geräteausstattung wird den beteiligten Wissenschaftler:innen ein exzellentes Umfeld bieten, um wichtige gesundheitserhaltende Mechanismen zu identifizieren und diese Erkenntnisse für Patientinnen und Patienten nutzbar zu machen. Das BC-BH wird Schnittstellen und Synergien zwischen Charité und Freier Universität Berlin nochmals verbessern. Zusammen wollen wir das relevante Feld der Gesunderhaltung und Prävention sowie das Fachgebiet der Immunologie weiter ausbauen und entwickeln“, sagt Prof. Dr. Joachim Spranger, Dekan der Charité. Um die wissenschaftlichen Fragestellungen auf internationalem Niveau bearbeiten zu können, soll das BC-BH eine moderne Großgeräteausstattung erhalten. So sind unter anderem Technologie-Einheiten zur Einzelzellanalyse und Bildgebung vorgesehen, die wesentlich zum interdisziplinären Arbeiten beitragen werden.
*Wissenschaftsrat (2023): Empfehlungen zur Förderung von Forschungsbauten (Förderphase 2024); Köln. doi.org/10.57674/xezv-1813