COVID-19: Ist ganz Deutschland ein Risikogebiet?
Das Infektionsgeschehen in Deutschland ist derzeit sehr dynamisch. Fast täglich werden neue Risikogebiete identifiziert, und jedes Bundesland reagiert auf seine Weise mit individuellen Maßnahmen von Sperrstunde bis Beherbergungsverbot. Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, ruft in diesem Zusammenhang zu „mehr Rationalität und Gelassenheit“ auf und kritisiert zugleich die Verschwendung knapper Test-Kapazitäten.
Aktuell sind als flankierende Maßnahme Antigen-Schnelltests in Planung. Verständlich: Sowohl die Sensitivität als auch die Spezifität der Antigen-Schnelltests sind unter Laborbedingungen durchaus akzeptabel. Allerdings ist hierfür die Güte der Abnahmebedingungen der entscheidende Faktor. Für eine alltägliche Anwendung in der Praxis geht das DiagnostikNet|BB von einer Sensitivität aus, die derzeit noch deutlich unter 90 % liegt.
Im Gegensatz zur Politik, die diesen Wert als ausreichend für eine Identifikation von „Superspreadern“ erachtet, vertritt das Netzwerk einen konträren Standpunkt: Eine ausreichende Testsicherheit ist zumindest aktuell nur durch ein molekularbiologisches Nachweissystem wie die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) gewährleistet. Denn negative Testergebnisse, so die Erkenntnisse aus Influenza- und Meningitis-Schnelltests, schließen eine aktive Infektion nicht aus. (Ärzteblatt, 2017)
Um Verlässlichkeit in den Testungen herzustellen und eine allgemeine, verbindliche Orientierung zu ermöglichen, schlägt das DiagnostikNet|BB eine effektive Teststrategie für Krankenhäuser sowie Alten- und Pflegeheime vor, die auf sieben Punkten beruht:
1. Standard-Screening: Asymptomatische Personen, die stationär in eine Klinik aufgenommen werden, unterziehen sich innerhalb von 24 Stunden ab Aufnahme einem Hochdurchsatz-PCR-Test.
2. PCR-Test am Point of Care einer Rettungsstelle (POCT): Personen, die sich in einer Notaufnahme mit Symptomen vorstellen, werden differentialdiagnostisch von anderen Infektionen der oberen Atemwege unterschieden. Zu beachten sind abrechnungstechnische Einschränkungen.
3. Personal-Tests: In Ausbruchssituationen unterziehen sich das Personal sowie betroffene Behandlungseinheiten zeitnah einem Hochdurchsatz-PCR-Test. Die Beauftragung durch das zuständige Gesundheitsamt wird im Vorfeld eingeholt.
4. Unmittelbares Handeln: Müssen Entscheidungen sofort getroffen werden, ergänzt das oben genannte POCT PCR-Verfahren die Strategie. Diese Verfahren sind voraussichtlich ab Ende Oktober 2020 verfügbar.
5. Antigen-Tests als Ergänzung: Antigen-Tests sollten ausschließlich bei symptomatischen Patienten zum Einsatz kommen. Wird künftig eine hinreichende Sensitivität in der Praxis erreicht, sind sie eine wertvolle Ergänzung - auch bei Screenings von asymptomatischen Patienten mit niedriger Viruslast. Die Durchführung der Tests erfordert personelle Ressourcen und Schulungsmaßnahmen. Diese Aspekte sind ebenfalls zu berücksichtigen.
6. Rehabilitationseinrichtungen: Für die Sicherheit von Patient und Personal sind das POCT PCR-Verfahren oder eine Hochdurchsatz-PCR nach aktuellem Stand die geeigneten Verfahren.
7. Hometests versus professionelle Testungen: Sowohl die Abnahme des Abstrichs als auch die Ablesung und Dokumentation der Ergebnisse gehören in professionelle Hände. Denn: Probennahme, Präanalytik und Auswertung der Daten sind im häuslichen Bereich nicht standardisiert nachprüfbar. Darüber hinaus muss eine automatisierte Meldung der Testergebnisse an die zuständigen Gesundheitsämter sichergestellt sein.
Der diagnostische Nutzen der unterschiedlichen COVID-19-Testverfahren sowie der hiermit jeweilig verbundene finanzielle Aufwand sollten bei der Entscheidungsfindung für eine verlässliche und bundesweite Teststrategie vonseiten der Politik berücksichtigt werden.
Als Bindeglied zwischen Politik, Diagnostik-Herstellern und Laboren sowie als Ansprechpartner für verlässliche COVID-19-Diagnostik steht das Netzwerk für eine fachliche Beratung und die Validierung von Tests zur Verfügung.
Auskunft
Prof. Jörg-M. Hollidt | Dr. Robert Lange | Prof. Frank F. Bier
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