Spezialthema | Computational Biology – Mit computergestützten Datenanalysen den medizinischen Fortschritt gestalten

Die Auswertung komplexer Daten, zum Beispiel aus Hochdurchsatz-Experimenten oder der Sequenzierung von Genomen – kurz: die Computational Biology – liefert in der Medizin, Biotechnologie und der Pharmakologie wertvolle Erkenntnisse und ist aus Forschung und Praxis nicht mehr wegzudenken. Die Metropolregion Berlin-Brandenburg bietet mit ihrem Mix aus Unternehmen, Forschung und medizinischen Einrichtungen ein optimales Umfeld für die Entwicklung zugehöriger Technologien sowie der Translation der Erkenntnisse in Wirtschaft und Klinik.

 

Die Bedeutung der Computational Biology für die Lebenswissenschaften ist groß und wird zukünftig weiter zunehmen. Bei dieser interdisziplinären Wissenschaft können mithilfe von computergestützten Modellen und Algorithmen molekularbiologische und biomedizinische Fragen beantwortet werden, die sonst oft schon an der schieren Datenmenge scheitern würden. Dank der Modelle und Rechenmethoden werden unter anderem Genome sequenziert, Proteine in ihre Struktur zerlegt, große Kohorten quantitativ analysiert, KI-Algorithmen für Medizinanwendungen entwickelt oder modellgestützte Prognosen getroffen – die Vorhersagen der vergangenen und sicherlich auch zukünftigen Corona-Wellen sowie die Auswahl der richtigen Therapie bei onkologischen Erkrankungen sind dabei nur zwei Beispiele.

Mit ihrem Mix aus wissenschaftlichen Instituten, Unternehmen, Informationstechnologie-Firmen und medizinischen Einrichtungen sowie den jährlichen Current Topics in Bioinformatics (vormals Treffpunkt Bioinformatik) ist die Metropolregion Berlin-Brandenburg ein Hotspot für Computational Biology geworden. Hier arbeiten rund 390.000 Menschen in der Gesundheitsbranche; die Unternehmen erwirtschaften einen Gesamtumsatz von 27 Milliarden Euro. In 34 Pharmaunternehmen sind etwa 10.900 Beschäftigte tätig, in den rund 330 Medizintechnik- und Digital-Health-Unternehmen sind es 14.400. Hinzu kommen zahlreiche Forschungseinrichtungen sowie 37.000 Student:innen, die an den Berliner Universitäten und Hochschulen derzeit Informatik oder Computer Science studieren. Viele haben sich dabei auf die Computational Biology spezialisiert.

Da es für Computational Biology neben medizinischen Daten auch viel Informationstechnologie braucht, ergeben sich in dem Bereich auch große Schnittmengen zu anderen Feldern. Insbesondere im Innovationsfeld der Künstliche Intelligenz (KI), hier arbeiten beispielsweise das Cluster HealthCapital eng mit dem Cluster IKT, Medien und Kreativwirtschaft zusammen. Denn KI-Systeme aus der Hauptstadtregion finden neben der Computational Biology u.a. auch Anwendung in innerbetrieblichen Prozessen von Krankenhäusern und in der Operationsplanung

 

Zusammenarbeit von Schlüsselakteuren

Auch Professor Nikolaus Rajewsky¸ Direktor des Berliner Instituts für Medizinische Systembiologie am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC), ist überzeugt: „Die deutsche Hauptstadt bietet zweifelsohne ein sehr attraktives Umfeld für Computational Biology und Data Science. Insbesondere glaube ich, dass die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Schlüsselakteuren wie der Charité, einer der größten Universitätskliniken in Europa, exzellenten Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen ein Schlüsselfaktor ist.“ Weiterhin fügt er hinzu: „In den letzten Jahren haben sich interessante Trends herauskristallisiert, wie beispielsweise der Start innovativer Bildungsinitiativen wie HEIBRiDS – ein gemeinsames Graduiertenprogramm in Data Science zwischen dem Einstein Center Digital Future und der Helmholtz-Gemeinschaft - aber auch hochdynamische Entwicklungen in der Industrie mit weltweit führenden Unternehmen der KI-Forschung wie Amazon und Google, die Büros in Berlin eröffnet haben.“

Verständnis von Genregulation in Gesund- und Krankheit

Rajewsky ist ein international führender Systembiologe. Er gründete und leitet das „Berlin Institute for Medical Systems Biology“ (BIMSB), eine neue, interdisziplinäre Abteilung des Max-Delbrück-Centrum (MDC) in der Helmholtz-Gemeinschaft.  Die Forschung am BIMSB konzentriert sich auf das Verständnis und die Vorhersage der Genaktivität in Gesund- und Krankheit. Ein Ziel der Forscher:innen ist die die Identifizierung von neuen „Drug Targets” (Therapiezielen) durch Präzisionsmedizin und zellbasierte Medizin. Insbesondere werden Ansätze verfolgt, die ein Eingreifen in Krankheitsverläufe erlauben bevor Symptome entstehen („Cell-based interceptive medicine”).

Neben seiner Arbeit für das BIMSB ist Rajewsky an vielen Projekten und Kooperationen beteiligt. Er ist z. B. Sprecher von Virchow 2.0. Dieses vom MDC koordinierte Berliner Netzwerk (mit den Partnern Charité, BIH, und Zuse Institut/BIFOLD) baut ein regionales biomedizinisches KI-Ökosystem auf, in dem die zellbasierte Medizin mithilfe von künstlicher Intelligenz und personalisierten Krankheitsmodellen und der Zusammenarbeit mit Firmen und Venture Capital in die direkte Anwendung gebracht wird (Innovationscluster der BMBF Cluster4Future Initiative).    

Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik

Auch Forschungseinrichtungen in Berlin wie das Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik (MPI MolGen) wollen mit ihren Ergebnissen die Medizin unterstützen und mithilfe von Computermodellen etwa Fehlregulationen im Zellkern verstehen. In der Abteilung Bioinformatik des MPI MolGen, die von Professor Martin Vingron geleitet wird, forschen die Wissenschaftler:innen unter anderem im Bereich der Epigenetik und entwickeln etwa Methoden des maschinellen Lernens, um definierte Verstärkerstrukturen („Enhancer“) in epigenetischen Markierungen vorherzusagen.

Arbeitsgruppe „Medical Bioinformatics“ am Zuse-Institut

Am Zuse-Institut, das sich mit angewandter Mathematik und datenintensivem High-Performance-Computing beschäftigt, ist eine Arbeitsgruppe mit dem Titel „Medical Bioinformatics“ angesiedelt. Die AG arbeitet unter anderem an datengetriebenen Methoden zur Identifikation und statistischen Bewertung von Korrelationen zwischen krankheitsspezifischen phänotypischen Informationen mit den Daten aus verschiedenartigen sehr großen Big-Data-Experimenten.

Auch an den Fraunhofer-Instituten wie etwa dem Heinrich-Herz-Institut oder am Robert-Koch-Institut gibt es eigene Abteilungen oder Forschungsgruppen zur Computational Biology. Das Einstein Center Digital Future forscht unter anderem in dem Kernbereich digitale Gesundheit.

Core Unit Bioinformatics an der Charité

Die Charité-Universitätsmedizin Berlin bündelt am Berlin Institute of Health mit der Core Unit Bioinformatics (CUBI) die Bioinformatik- und Datenanalyse-Expertise. Die Wissenschaftler:innen wollen dabei unter anderem genetische Variationen, biomedizinische Herausforderungen und die Umwandlung von Daten in klinisch umsetzbare Ergebnisse erforschen.

Neues WHO Hub for Pandemic and Epidemic Intelligence

Mit dem neuen „WHO Hub for Pandemic and Epidemic Intelligence“ bekommt Berlin einen weiteren Schub für die Nutzbarmachung von Daten aus der Gesundheitswirtschaft mittels der Bioinformatik. Eingeweiht wurde der Hub der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im September 2021. Mithilfe des Hubs sollen zukünftige Pandemieausbrüche frühzeitig erkannt und verhindert werden. Dazu werden Daten erhoben, ausgewertet und aktuelle Erkenntnisse zusammengeführt. Partner sind unter anderem die Charité-Universitätsmedizin Berlin und das Robert-Koch-Institut sowie das Hasso-Plattner-Institut.

 

Studiengang Bioinformatik an den Universitäten

Die akademische Ausbildung in der Computational Biology in Berlin-Brandenburg findet an nahezu allen Universitäten und Hochschulen statt. Um die Schnittstelle zwischen Informatik und Medizin zu schließen, hat etwa das Hasso Plattner Institut an der Universität Potsdam (HPI) den Masterstudiengang Digital Health entwickelt. An allen großen Universitäten in Berlin – der Technischen Universität, der Freien Universität, sowie der Charité – Universitätsmedizin Berlin als gemeinsame medizininische Fakultät der FU und der Humboldt-Universität – gibt es eigene Studiengänge zur Bioinformatik. Ebenso in der Technischen Hochschule Wildau und der BTU Cottbus-Senftenberg.

An der TU etwa ist das Berlin Institute for the Foundation of Learning and Data (BIFOLD) angesiedelt, das Grundlagenforschung in den Bereichen Big Data Management und maschinelles Lernen betreibt.

Computational Biology in der Wirtschaft

Neben der Wissenschaft sind in Berlin auch zahlreiche Unternehmen angesiedelt, die im Bereich Computational Biology arbeiten. Unter anderem sind hier Ada Health, Alacris, ATLAS Biolabs, Bayer, Centogene, Google, Illumina, LGC Biosearch Technologies, MicroDiscovery und Targenomix, zu nennen. Hinzu kommen Start-ups wie Aignostics Computational Pathology, biotx.ai, Cambrium, Cinference, Nostos Genomics und QuantGene.

Zunehmend finden die Ergebnisse und Projekte aus der Forschung in der Computational Biology direkt Eingang in die Wirtschaft. So hat beispielsweise x-cardiac – eine Ausgründung des Deutschen Herzzentrum Berlin (DHZB) – eine Software entwickelt, die in kurzer Zeit das Risiko postoperativer Nachblutungen von Patienten vorhersagen kann. Unterstützt wurde die Entwicklung auch vom Berlin Institute of Health der Charité.

Current Topics in Bioinformatics am 13. Juni in Berlin

Für die breite Öffentlichkeit sichtbar wurde die Bedeutung von Computational Biology zuletzt vor allem bei der Bekämpfung des Corona-Virus. Deshalb wird in diesem Jahr auf der Fachkonferenz Current Topics in Bioinformatics der Fokus auf den Modellierungen im Bereich Virologie, Epidemiologie und zur Optimierung von Impfstoffen liegen.

Das hochkarätige Symposium wird in diesem Jahr am 13. Juni 2022 bereits zum 17. Mal in Berlin veranstaltet und unterstreicht die Bedeutung der Hauptstadt bei der Computational Biology. Das Steuerungskomitee des Symposiums setzt sich zusammen aus: Prof. Dr. Uwe Ohler, Max Delbrück Center für Molekulare Medizin; Prof. Dr. Martin Vingron, Max Planck Institut für Molekulare Genetik sowie Dr. Bertram Weiss von der Bayer AG. HealthCapital ist Organisator des Symposiums.

Lesen Sie hier drei Fragen an Dr. Bertram Weiß, Bayer AG, zum Symposium Current Topics in Bionformatics.

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