AOK Nordost schlägt Corona-Monitoring mit Weitblick vor
Der Lockdown ist bis Mitte Februar verlängert worden – doch wie kann es nach dem Auslaufen des Lockdowns gelingen, die Corona-Infektionszahlen dauerhaft niedrig zu halten? Geodatenanalysen der AOK Nordost zeigen nun: Es wäre möglich, mit Hilfe von Routinedaten ein automatisiertes Frühwarnsystem für Corona-Hotspots aufzubauen. Es könnte Gesundheitsämtern und Kommunen helfen, regionale Hotspots schneller als bisher zu identifizieren und mit gezielten Maßnahmen schneller wieder einzudämmen.
Diesen Vorschlag hat der Diplom-Geograph Dr. Boris Kauhl von der AOK Nordost erarbeitet. Seit 2015 erstellt er regionale Analysen für die Versorgungsplanung mit Hilfe von Geographischen Informationssystemen (GIS). Für seine Analysen zu Covid-19-Hotspots wertete Kauhl anonymisierte Daten der insgesamt 1,75 Millionen AOK Nordost-Versicherten in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern aus. Damit erstellte Kauhl kleinräumig aufgelöste, animierte Karten der Covid-19 Hospitalisierungen, die ein detaillierteres Bild vermitteln als die sonst übliche landkreisweise Betrachtung der Pandemie-Zahlen.
Herr Kauhl, mit Hilfe animierter Karten haben sie festgestellt, dass Corona-Hotspots oft mit Vorankündigung auftreten. Was genau ist Ihnen aufgefallen?
Oftmals zeigte sich, dass dem sprunghaften Anstieg der Corona-Hospitalisierungen in Landkreisen oder Bezirken ein kleinräumigerer Anstieg in einzelnen Gemeinden oder Ortsteilen vorausging.
Im besten Fall könnten solche kleinräumig aufgelösten Geodaten genutzt werden, um ein GIS-basiertes automatisiertes Frühwarnsystem zu errichten, das auftretende Hotspots so früh wie möglich erfassen könnte. Solch ein System könnte den Gesundheitsämtern helfen, rechtzeitig in den betroffenen Gemeinden oder Ortsteilen zu testen, bevor der gesamte Landkreis oder Bezirk betroffen ist. Denn wenn aus dem lokalen Feuer erst einmal ein Flächenbrand geworden ist, kommen die Gesundheitsämter mit dem Testen und der Kontaktnachverfolgung oftmals gar nicht mehr hinterher.
Unsere animierten Karten zum regionalen Test- und Infektionsgeschehen zeigen daher deutlich, dass ein GIS-basiertes Frühwarnsystem technisch möglich und sehr hilfreich wäre.
Was müsste konkret getan werden, um solch ein Hotspot-Frühwarnsystem einzurichten?
Die Hospitalisierungsdaten, auf denen unsere Karten basieren, stehen uns nur mit einem zeitlichen Verzug zur Verfügung. Daher können wir die raumzeitliche Dynamik der Pandemie nur rückwirkend darstellen.
Allerdings ließen sich wahrscheinlich beschwerdebasierte Daten nutzen, um frühzeitig einen Hinweis auf ein mögliches Infektionsgeschehen zu geben. Konkret: Wenn sich in einer Region in der Notrufzentrale oder beim ärztlichen Bereitschaftsdienst Anrufe von Patienten mit Covid-19 typischen Beschwerden häufen, könnten die Gesundheitsämter noch vor der Häufung der laborbestätigten Fälle aktiv werden und nach dem „Quellcluster“ fahnden.
Dazu müssten diese Daten automatisch und in Echtzeit mit speziellen Algorithmen kleinräumig unterhalb der Landkreisebene ausgewertet werden. Ein solches System würde dann einen Alarm ausgeben, wenn sich Covid-19 typische Beschwerden zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Region häufen.
Das ist keine graue Theorie, ich habe selbst erlebt, dass es funktioniert: Während meiner Tätigkeit an der Universität Maastricht haben wir solche Ansätze und die dazugehörigen statistischen Modelle ausgiebig untersucht. Wir konnten auf diese Art und Weise anhand von Notrufdaten frühzeitig einen Denguefieber-Ausbruch in Indien aufspüren – und zwar noch bevor die laborbestätigten Diagnosen erfasst wurden.
Sie haben auch analysiert, welche Einflussfaktoren dazu führen, dass Corona-Hotspots auftreten. Was sind ihre wichtigsten Erkenntnisse?
Hotspots treten überwiegend in Regionen auf, in denen das Durchschnittsalter und die Krankheitslast in der Bevölkerung vergleichsweise hoch sind – aber eben nicht nur dort. Dass sich das vergleichsweise junge Berlin-Neukölln im Oktober vergangenen Jahres zu einem Hotspot entwickelte, hängt auch mit anderen Faktoren zusammen. So haben neben älteren und kränkeren Menschen auch jüngere Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status ein deutlich erhöhtes Risiko, wegen Covid-19 hospitalisiert zu werden. Es gibt aber auch Hotspots-Risikofaktoren, die sich schlecht messen lassen – wie beispielsweise das individuelle Verhalten.
Klar ist in jedem Fall: Hotspots halten sich weder an Landkreis- noch an Bundeslandgrenzen. Das „Feuer“ eines Hotspots entfacht sich wie beschrieben anfangs meist nur in wenigen Gemeinden oder Ortsteilen – und breitet sich von dort oft grenzüberschreitend in die benachbarten Gemeinden aus. Das zeigt sich beispielsweise sehr deutlich im Süden Brandenburgs: Die Inzidenz dort ist viel höher als im Brandenburger Landesdurchschnitt – aber vergleichbar hoch wie in den meisten angrenzenden sächsischen Landkreisen. Wären die Quellcluster frühzeitiger identifiziert worden, hätte sich die Ausbreitung möglicherweise früher eindämmen lassen.